von Sandro Danilo Spadini
Spätestens nach Guy Ritchies Debüt «Lock, Stock and Two Smoking Barrels», also vor nunmehr zehn Jahren, hat sich im internationalen Kino ein neues, sehr spezifisches Subgenre etabliert, dessen
Halbwertszeit sich als erstaunlich hartnäckig erwiesen hat: die Gangsterkomödie britischer Provenienz, die vorzugsweise mit den Ingredienzien Kult, Koks und Kugeln, schrägen Chargen, schmissigen
Sprüchen, schnellen Schnitten und schabernackigem Schnickschnack jeglicher und insbesondere inszenatorischer Art zu fabrizieren ist. Ritchies Erstling hat für das britische Kino recht eigentlich
das getan, was Quentin Tarantinos «Pulp Fiction» für das amerikanische gut fünf Jahre zuvor getan hatte: Er hat ruppige Gewaltdarstellungen und knallharten Zynismus schick, quasi mehrheitsfähig
und zum Pop gemacht. Und er hat eine letztlich als ungünstig zu klassifizierende Welle ausgelöst, auf der meist mehr oder minder talentlose Trittbrettfahrer rumzusurfen meinten.
Warum Brügge?
Entsprechend erfreulich ist es, dass nun mit dem 37-jährigen Londoner Martin McDonagh ein Mann auf den Plan tritt, der in seinem Debüt «In Bruges» die doch sehr engen Grenzen dieses sich
allmählich zum Ärgernis wandelnden und vom Kult zum Kalk verkommenden Subgenres ein wenig weitet. Mit einem gänzlich anderen inszenatorischen Ansatz als Ritchie und Co. operierend, erzählt er
ausgesprochen unaufgeregt von zwei irischen Auftragskillern, die um die Weihnachtszeit herum nach einem unzufriedenstellend ausgeführten Job von ihrem Boss mit zunächst unbekannten Absichten nach
Brügge geschickt werden. Brügge? Warum ausgerechnet Brügge?, empört sich das simple Gemüt Ray (Colin Farrell), für den die belgische 117’000-Einwohner-Stadt mit ihrem mittelalterlichen Stadtkern
bloss ein «Shithole» ist. Ganz entspannt sieht das derweil der gut 20 Jahre ältere und ungleich kulturbeflissenere Ken (Brendan Gleeson), der im Zusammenhang mit dem Unesco-Weltkulturerbe nur von
der «Märchenstadt» spricht. Ray und Ken mögen zwar den gleichen Job haben, doch sie sind so verschieden, wie es nur geht. Es dauert folglich nicht nur eine Weile, bis sich die beiden an die neue
Umgebung adaptiert haben; mindestens so viel Zeit vergeht, bis sie sich miteinander arrangiert haben. Und ebendiese Zeit, das (und sämtliche Sehenswürdigkeiten der Stadt) in aller Ausführlichkeit
zu zeigen, nimmt sich Regisseur und Drehbuchautor McDonagh. Zum Glück, darf man konstatieren. Denn was in den ersten drei Viertelstunden unter stimmigem Timing nur schon über Dialog an Witz
entfacht wird, ist beinahe atemberaubend, ist keck, schwarz, politisch erfrischend unkorrekt, auch mal rustikal, britisch im besten Sinne halt. Mit einem Anruf von Ralph Fiennes, der in der Rolle
des Gangsterbosses Harry durchaus erfolgreich gegen seinen Typ anspielt, ändert sich der Ton indes – wohl nicht markant und nicht in dem Sinne, dass das Ganze jetzt bisweilen nicht immer noch
brüllend komisch wäre, aber merklich doch auf inhaltlicher Ebene. Indem nun die Schiesseisen hervorgeholt werden, wird ab der zweiten Hälfte auch dem auf der Affiche stehenden Kriminalelement
Rechnung getragen, und die zuvor noch latente melancholische Komponente wird mehr und mehr akut. Ganz sanft vollzieht McDonagh so einen Richtungswechsel von der Gangsterkomödie zur
Gangsterballade.
Locker bis zum Schluss
«In Bruges» ist ohnehin ein Film der Gegensätze. Es ist also kein Zufall, dass Ray und Kenn wie Tag und Nacht sind. So werden etwa auch auf der Tonspur die flotten Sprüche stets von einem überaus
traurigen Piano-Score konterkariert, und in gleicher Weise entsteht auf der Handlungsebene durch die Gegenüberstellung von Rays launigem Treiben mit den ihn jagenden Dämonen der jüngsten
Vergangenheit ein gewisses Spannungsverhältnis. Was dabei freilich nicht entsteht, ist Schwere. Wiewohl am Ende mehr die Frage nach dem Ausweg aus moralischen Dilemmas und natürlich die Frage der
Ehre gestellt werden, bleibt McDonaghs Film auch dank der in ungewohnten Rollen anstandslos überzeugenden beiden irischen Hauptdarsteller stets spielerisch – und bewahrt sich damit also jene
kultverdächtige Lockerheit, nach der Ritchie und all seine Nachahmer oftmals eher krampfhaft trachten.