Es geschehen wieder Wunder im amerikanischen Kino

Der Oscar-nominierte Independent-Hit «Juno» macht spielend einfach vor, wie man ein kritisches Thema wie Teenager-Schwangerschaften auf gewitzte und dabei hochintelligente Weise filmisch angehen kann.

 

von Sandro Danilo Spadini

In der Zukunft wird man vielleicht einmal sagen, dass «Juno» die Geburtsstunde gleich mehrerer Filmgrössen gewesen ist. Einstweilen darf jedenfalls konstatiert werden, dass es sich bei dieser für ganze 7,5 Millionen Dollar produzierten Tragikomödie angesichts eines US-Einspielergebnisses von 130 Millionen Dollar um eine märchenhafte Riesenerfolgsgeschichte handelt – und eben um die Geschichte einiger Jungspunde, die im Spurt die Strecke vom Newcomer zum Hollywood-Star zurückzulegen scheinen. Da ist etwa die naturgewaltige Kanadierin Ellen Page («Hard Candy»), die in ihrer zweiten Kino-Hauptrolle mit einer sympathisch schnoddrigen Selbstverständlichkeit sondergleichen aufspielt und so die mit unverhofftem Mutterglück konfrontierte 16-jährige Titelfigur zur Ikone einer halben Teenager-Generation in den USA gemacht hat. Dirigiert wird sie vom ebenfalls kanadischen Regie-Wunderkind und Regisseurenspross Jason Reitman, der bereits mit seinem Debüt «Thank You for Smoking» einen komödiantischen Husarenstreich vollbracht hat und nun mit seiner zweiten Heldentat im zweiten Versuch seinen Papa Ivan allmählich alt aussehen lässt. Und nicht zuletzt, sondern zuvörderst ist das die Erfolgsgeschichte der debütierenden 29-jährigen Drehbuchautorin Diablo Cody, die vormals als Stripperin und Telefonsex-Sirene gejobbt hat und sich inzwischen Oscar-Preisträgerin nennen darf. Zu solchem Ruhm hat es für Page und Reitman trotz Nominierung zwar noch nicht gereicht; doch wenn die beiden genau so weitermachen, wird sich auch ihr Talent bald in Goldmännchen messen lassen. Denn wenn sie und Cody genau so weitermachen, werden sie das US-Kino von morgen wesentlich prägen.

Und das Sahnehäubchen

Doch genug des Fabulierens und Spekulierens über die Zukunft. Die Gegenwart heisst «Juno». Und wie bereits geklärt wurde, punktet dieses kleine Wunderwerk auf allen drei Hauptebenen gewaltig, nochmals namentlich in Sachen Hauptrolle, Regie und Skript: Erstere ist erfrischend und ungekünstelt gespielt, Mittlere besticht durch Verspieltheit und Originalität und Letzteres durch selbiges wie Voriges sowie durch Herz, Hirn und magistralen Dialogwitz. Viel mehr ist da eigentlich nicht zu wollen, doch für ein Sahnehäubchen hat es natürlich noch immer Platz gehabt. Ebendieses wird ja gerne von der Nebendarstellerschaft besorgt. So war das schon bei Reitmans Erstling, und so ist das auch bei «Juno». Dem Plot chronologisch gefolgt, kommt der linkisch gefällige Michael Cera aus «Superbad» als unwahrscheinlicher Kindsvater als Erster zu Lob. Sodann darf über Junos Vater (J.K. Simmons) und ihre Stiefmutter (Allison Janney) nur Gutes erzählt werden; ihnen hat Diablo Cody die Rollen als verständnisvolle und vorwurfslose, pragmatisch-hilfsbereit reagierende Erziehungsberechtigte quasi auf den Leib geschrieben. Ebenso treffend besetzt sind die unlängst schon in «The Kingdom» gemeinsam aufgetretenen Sympathler Jason Bateman und Jennifer Garner, die als noch etwas orientierungslose Adoptiveltern in spe sich dereinst um Junos Kind kümmern wollen. Und schliesslich sollte bei allem berechtigten Hurra über Ellen Page auch die zweite schauspielerische Entdeckung dieses Films nicht kleingeredet werden, wütet doch in der Rolle von Junos bester Freundin ein komödiantisches Naturtalent namens Olivia Thirlby; sie ist sozusagen die Kirsche auf dem Sahnehäubchen.

So ernst wie nötig

All diese Figuren hat man subito liebgewonnen, denn sie alle nehmen die Heldin – und Juno ist eine Heldin – so ernst wie nötig und stehen ihr ohne Wenn und Aber bei. Hier, in diesem an Nick Hornbys neuen Roman «Slam» erinnernden Feelgood-Movie über Teenager-Schwangerschaften, gibt es ganz unamerikanisch keine erhobenen Zeigefinger, keine langfädigen Belehrungen, kein Schwadronieren über Unreife und Verantwortung, keine Hänseleien, keine Bigotterien, wider Erwarten keine lärmenden Gefühlsausbrüche und wenigstens dort, wo man sie vermuten würde, auch keine grossen Dramen. Stattdessen gibt es viel Herz. Viel Wärme. Viel Menschlichkeit. Viel Toleranz. Viel Schönheit. Und verdammt viel Witziges. Recht so!