Zwei Väter vor dem Spiegel einer Tragödie

Das inhaltlich etwas simpel gestrickte Drama «Reservation Road» von «Hotel Rwanda»-Regisseur Terry George vermag durch gute Darstellerleistungen die gröbsten Mängel wettzumachen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es ist der berühmte eine Augenblick, der für alle Beteiligten undenkbare Folgen zeitigt: Dwight (Mark Ruffalo) ist mit seinem Sohn am Heimweg vom Fenway Park. Er ist spät dran, die Red Sox mussten in die Verlängerung. Die geschiedene Gattin (Mira Sorvino) hat schon mehrmals angerufen, drängt auf baldige Heimkehr. Dwight ist unter Druck, einmal mehr, eigentlich wie immer in seinem meist selbstverschuldet schwierigen Leben. Dwight gibt Gas, fährt zu schnell, ist abgelenkt, muss einem entgegenkommenden Wagen ausweichen, kommt von der Spur ab – und kollidiert mit einem am Strassenrand stehenden Knaben. Dwight fährt weiter. Hält an. Fährt weiter. Im Rückspiegel sieht er, dass es schlimm ist. Schlimmstmöglich. Der Knabe ist tot. Dwight wird innerlich tausend Tode sterben. Ebenso Grace (Jennifer Connelly) und Ethan (Joaquin Phoenix), die gramgebeugten Eltern des Knaben. Vier Leben sind zerstört worden. In einem einzigen Augenblick der Nachlässigkeit.

Unschlüssiges Skript

Wie kann man dieses Leben jetzt noch leben? Wie verarbeitet der Täter seine Schuld? Wie gehen die Eltern mit ihrem Schmerz um? Das sind die Fragen, die sich der nordirische Regisseur Terry George («Hotel Rwanda») und der hier seinen eigenen Roman «verwurstende» Drehbuchautor John Burnham Schwartz in «Reservation Road» stellen. Die Antworten, die die beiden darauf finden, sind gewiss nicht neu, nicht komplex, nicht spektakulär. Das indes ist insofern recht unproblematisch, als die Figuren durch feine Performances gerade von Phoenix und Ruffalo eine gewisse emotionale Tiefe erhalten. Weit ungünstiger als das eher simpel gestrickte Skript und die arg durchschaubar die Schicksale der beiden Väter an der Tragödie spiegelnde Inszenierung wirkt sich derweil die Unschlüssigkeit der Filmemacher darüber aus, wie weit sie ihre Geschichte tragen wollen. Wenn Ethan etwa, ein Professor, der bis zur Katastrophe im idyllischen Connecticut ein unbeschwertes Leben hatte, den ihn aus dem Nichts treffenden Schmerz, die ihm völlig unbekannte Trauer in blinde Wut und ebenso wenig sehende Rachegefühle kanalisiert, wird kurz einmal der Bogen bis zur Reaktion der USA auf den 11. September zu schlagen versucht. An anderen Stellen wiederum werden biblische Bezüge insinuiert, aber ähnlich unverbindlich gehandhabt und just so schnell wieder aufgegeben wie die 9/11-Allegorie. Fast scheint es also so, als ob sich die Filmemacher zu viel vorgenommen hatten, dies irgendwann bemerkten und schliesslich zurückbuchstabieren mussten.


Auf ordentlichem Niveau

Unzweifelhaft ist jedenfalls, dass bei diesem Thema, dieser Romanvorlage und dieser exzellenten Besetzung mehr dringelegen wäre – vielleicht sogar so viel wie in den immer wieder ins cineastische Gedächtnis rückenden Todd-Field-Filmen «In the Bedroom» und «Little Children». Dass hier Potenzial unausgeschöpft geblieben ist, zeigt sich nicht zuletzt auch in jenen Szenen, in welchen für einmal grosses Kino durchschimmert. Klar ist indes auch, dass bei einem Streifen dieser Sorte der anzulegende Massstab anders geeicht ist. So hat George einen Film über etwas gedreht, mit dem niemand je konfrontiert werden will. Damit man sich derartigen Urängsten auch nur in der Fiktion stellt, hat die künstlerische Qualität des Gezeigten eben höchstmöglich zu sein. Bei «Reservation Road» jedoch verharrt vieles auf bloss ordentlichem Niveau. Die in hoher Quantität dargebotenen Dialoge sind solide ausgearbeitet; die meist schlicht gehaltenen Bilder erzeugen eine durchschnittlich dichte Atmosphäre; und die Mischung aus Dramapassagen und Thrillerelementen, die bei der zusehends fanatischeren Jagd von Ethan auf Dwight allmählich dominant werden, ist wohl ausgewogen und wirkungsvoll, doch spart George beim Thriller etwas zu viel und beim Drama etwas zu wenig mit grossen inszenatorischen Gesten. Leichter wird es einem dergestalt natürlich nicht gemacht, diesen so traurigen Film wirklich sehen zu wollen und ihn sodann sogar zu mögen. Zumal es sich die Filmemacher ihrerseits bei der Verarbeitung eines sehr schwierigen Stoffs bisweilen etwas zu leicht gemacht haben.