von Sandro Danilo Spadini
Allenthalben schaut man in müde Augen. Leere Blick schlagen einem entgegen, die verraten, dass sie, die Protagonisten von «Shotgun Stories», die Hoffnung nicht etwa verloren haben, sondern dass sie gar nie Hoffnung hatten. Denn sie sind
Verlorene, Vergessene, Verratene, die als Verlierer geboren wurden und auf ewig Verlierer sein werden. Von einer verbitterten und verhassten Mutter wurden sie grossgezogen, von einem versoffenen
Vater verstossen und verlassen, der ihnen nicht einmal richtige Namen gegeben hat, sodass sie heute noch immer bloss Son, Boy und Kid gerufen werden. Doch anders als sie, die ein Leben in
Lethargie führen, hat es dieser Vater dann irgendwann geschafft, hat Christus gefunden und ist ein neuer Mensch geworden, hat eine neue Familie gegründet und ist mit dieser in die Mittelklasse
aufgestiegen. Seine sündige Vergangenheit hat er aber hinter sich gelassen, die alte Familie so recht eigentlich abermals verstossen. Erst mit seinem Tod kehrt er schliesslich ins Leben seiner
drei Erstgeborenen zurück. Als diese nämlich seine Beerdigung stürmen und die Zeremonie mit Worten tief in ihnen sitzenden Grolls stören, entfachen sie einen Zwist mit ihren Halbbrüdern, der sich
zu einer blutigen Fehde ausweiten wird, in der es für niemanden etwas zu gewinnen gibt.
Trostlos und schön
Es ist ein Paradebeispiel für die sprichwörtliche Spirale der Gewalt, das Regisseur und Drehbuchautor Jeff Nichols in seinem von Independent-Ikone David Gordon Green («Undertow») produzierten
Erstling so dezent wie vereinnahmend in Szene gesetzt hat. Wie Green, dessen mit Recht ausgezeichneter Ruf in der Heimat sich noch nicht in Kino-Releases im hiesigen Raum bemerkbar gemacht hat,
macht sich Nichols bei der minutiösen Schilderung seiner «kleinen Geschichte über die Gewalt» einen höchst fruchtbaren Widerspruch zunutze: Er überträgt eine klassisch europäische Erzählweise auf
eine uramerikanische Geschichte, die sich stimmungsvoll inszeniert in einem der typischen US-Niemandsländer fern jeglichen Fortschritts zuträgt. Gefunden hat Nichols seine Kulisse im Südosten von
Arkansas, inmitten von Baumwollfeldern und dekoriert von schäbigen Bauten, und gerade in der ersten Hälfte, wo sein Film von einem eigentümlich strikten, gleichsam hypnotisierenden Rhythmus
beherrscht wird, hat sie immer wieder die Hauptrolle inne. Die dadurch evozierte Erkenntnis könnte der ewigen Bierwerbung entnommen sein: wie das Land, so die Leute. Denn die Leute sind auf den
flüchtigen Blick ebenso trostlos und offenbaren bei genauerem Hinsehen gleichwohl auch eine raue Schönheit. Diese wie auch das Hässliche in ihnen eindringlich anschaulich zu machen, hat Nichols
hier denn auch zur Prämisse erkoren.
Hochgradig authentisch
Das sachte Spiel von Michael Shannon als Son, Douglas Ligon als Boy und Barlow Jacobs als Kid hilft Nichols gewiss, sein Ziel letztlich derart klar zu erreichen. Das ganze Drama, das ganze
Dilemma kulminiert dabei in der Figur des gross aufspielenden Shannon (Bug»), zumal sich in ihr auch die wesentlichsten Eigenschaften seiner mehr prototypisch gezeichneten Brüder finden: Son hat
es sich zwar wie sie einigermassen arrangiert mit diesem Leben, er wirkt aber gleichzeitig ungleich zerrissener, trägt er doch sowohl vom trägen Taugenichts Boy als auch vom tumben
Temperamentsbolzen Kid manches in sich. Er ist freilich auch der, der den beiden den Weg weist: Anders als Boy und Kid hat er immerhin einen Job, eine Frau und ein Dach über dem Kopf. Und er ist
schliesslich auch der, der trotz aufgestauten Frusts über ein gestohlenes Leben und bornierter Macho-Attitüde das Ende der – fast stets abseits der Kamera ablaufenden und gleichwohl jederzeit
präsenten – Gewalt herbeiführen könnte. Wiewohl Versöhnung hier vordergründig nie eine Option und die Wut nicht mehr kontrollierbar zu sein scheint, impliziert die von Nichols unter höchster
Authentizität erzeugte Atmosphäre mit ihrem wiederum fruchtbar widersprüchlichen friedlichen Grundton nämlich, dass das Schlimmste verhindert werden kann.