Folter zum Mitmachen live auf dem Computer

Gregory Hoblits Thriller «Untraceable» ist unter dem Unterhaltungsaspekt hoch kompetentes Genrekino, macht sich durch seine falsche Medienkritik aber der Heuchelei verdächtig.

 

von Sandro Danilo Spadini

Etwas zu kritisieren, bloss um dadurch die eigenen just derartigen Absichten zu legitimieren, geht eigentlich gar nicht. Und dennoch wird etwa in der Politik immer wieder populistisch gegen Populismus gewettert, wird im Sport unfair gegen Fairnessverstösse gemotzt, wird im Beruf mit Mobbing auf Mobber reagiert. Besonders plumpe Beispiele dieses Vorgehens, das man unter das Credo «Mit den eigenen Waffen schlagen» stellen oder auch heuchlerisch nennen könnte, finden sich nicht zuletzt in der Welt des Films und dort gerne im Genre des Horrorthrillers. So möchte uns ein Regiemetzger wie Eli Roth weismachen, dass es ihm in seinen beispiellos blutig-voyeuristischen «Hostel»-Filmen auch um eine Anklage gegen menschenverachtendes Tun in Osteuropa geht. Und so haben sich, wiewohl ein wenig subtiler, auch die Macher des ansonsten hoch kompetenten Thrillers «Untraceable» auf die Fahnen geschrieben, die Folter- und Gewaltgeilheit der Medien und ihres Publikums zu beanstanden – um selbst in unnötig expliziten Gruselbildern zu schwelgen.

Spurlos im Web

Eigentlich, wie gesagt, geht so was gar nicht. Doch dann ist da die rein filmische Seite, und über diese lässt sich nun wirklich nichts Schlechtes über den neuen Streifen von Thrillerspezialist Gregory Hoblit (zuletzt «Fracture») sagen. Dass sich die Inszenierung in einen veritablen Widerspruch verstrickt, ist letztlich sogar quasi konsequent, handelt es sich bei dem den Plot treibenden Psychopathen hier doch ebenfalls um eine massiv widersprüchliche Figur. Details zu Identität und Motivation des Folterknechts müssen an dieser Stelle aus Diskretionsgründen zwar ausbleiben, doch so viel darf gesagt werden: Es ist ein überaus übler Bursche, dem die auf Cyber-Kriminalität spezialisierte FBI-Agenten Jennifer Marsh (Diane Lane) auf die Spur kommen will. Die Spur, der Filmtitel deutets an, ist aber genau die Krux, zumal der Irre eine solche eben gerade nicht hinterlässt. Im virtuellen Land der unbegrenzten Möglichkeiten hat dieser unter der Adresse killwithme.com eine Webseite eingerichtet, auf der er per Livestream Misshandlungen anscheinend (oder scheinbar?) unbescholtener Bürger aussendet und die Internet-User zum fröhlichen Mitfoltern einlädt. Das Oberperverse an der perversen Sache: Mit ansteigender Zahl von Besuchern der Seite intensiviert sich die Folter. Und da das World Wide Web auch die Welt wirrer Voyeure ist, endet das Ganze jeweils tödlich.

Dümmlicher Denkfehler

Es ist das sehr pessimistische Bild des modernen Menschen als mitgefühlloses Monster, das «Untraceable» in erwähnt blutroten Farben zeichnet. Ob es zu düster ist, sei zur Beurteilung offen gelassen. Jedenfalls ist es aber wohltuend und an der Zeit, dass sich die Filmindustrie auf diesem unmittelbaren Weg einmal selbst hinterfragt und sich Gedanken darüber macht, was sie mit all den Folterpornos genannten Schmuddelfilmen der letzten Zeit vielleicht anrichtet. Nun ja, es wäre wohltuend, wenn man – so vermuten wir jetzt mal frech – die gestandenen Filmemacher und nicht die in Zahlen denkenden Marketingleute darüber hätte entscheiden lassen, wie weit man selbst in der Gewaltdarstellung gehen und was für ein Publikumsaufkommen man generieren will (die Kalkulation: je mehr von Ersterem, desto mehr von Letzterem). Nicht dass «Untraceable» eine Blutorgie wäre, doch kokettieren die Macher wiederholt offensichtlich mit dem am Pranger stehenden Genre, anstatt sich von diesem zu distanzieren. Dabei hätte das der Film gar nicht nötig gehabt. Der in jeder anderen Hinsicht stimmige Thriller weist nämlich keine Längen und dafür viele Spitzen auf, kann sich auf ein wasserdichtes Skript verlassen und hat mit der einst schon abgeschriebenen und seit geraumer Zeit zum grossen Glück wieder ziemlich präsenten Diane Lane eine bärenstarke Protagonistin. Beim Unterhaltungswert müssen denn auch keinerlei Abstriche gemacht werden. Ob man sich diesen indes durch den geradezu dümmlichen Denkfehler in der Medienkritik kaputtmachen lassen will, muss letztlich jeder für sich selbst entscheiden.