Warum der Kapitalismus abgeschafft werden muss

Belustigend, beklemmend, bedenkenswert: In «Capitalism: A Love Story» wendet Dokufilmer Michael Moore seine bekannte Erfolgsformel so versiert wie noch nie an.

 

von Sandro Danilo Spadini

Man liest bereits wieder von Millionen-Boni für vermeintliche Top-Banker. Man vernimmt, dass an der Wall Street unbeirrt weiter Casino gespielt wird. Man hört, wie geplante Regulierungen des Finanzmarkts in der Schublade verschwinden. Man sieht just jene, die uns den ganzen Schlamassel eingebrockt haben, schon wieder feist grinsen. Man ist wütend. Man ist verdammt wütend.

Die Sache mit der Propaganda

Da kommt einem Michael Moore gerade recht. Denn Michael Moore ist auch wütend, quasi von Berufs wegen. In seinem neuen Film berichtet er von einer gerade für die USA verheissungsvoll gestarteten und nun tragisch zu enden drohenden Liebesbeziehung: «Capitalism: A Love Story» heisst Moores aktuelles filmisches Pamphlet denn auch treffend. Für seine Kapitalismuskritik ist der so heiss geliebte wie innig gehasste Star des Dokumentarfilms abermals tief in den Archivkeller gestiegen. Zutage gefördert hat er diesmal nicht nur Zahlen und Fakten, O-Töne und geheime Firmendokumente; gefunden hat er vielmehr auch Skurriles wie ungünstige Filmaufnahmen des als Kapitalismustreiber verteufelten Ronald Reagan oder Rares wie eine überraschend sozialistisch anmutende Rede von Franklin D. Roosevelt. Parallel zu einem oft erhellenden und gerne (galgen)humoristisch aufgelockerten Abriss der Geschichte des Kapitalismus kramt Moore effektvoll wie üblich aber auch im Kleinen. So wird er für manches Raunen sorgen, wenn er den Scheinwerfer auf die allerdunkelsten Seiten des Kapitalismus richtet und bestürzende Einzelschicksale ans Licht zerrt. Dass das Aufzeigen der daran abzulesenden Auswüchse kaum als relevante Systemkritik durchgeht und bisweilen hohle Entrüstungsrhetorik bleibt, weiss der begnadete Manipulator Moore selbst natürlich am besten. Und er ist sich auch bewusst, dass das Publikum nach solchen Schockeffekten umso empfänglicher ist für Kritik an einem System, das es grösstenteils befürwortet. Denn an den genau richtigen Stellen seines gegenüber früheren Arbeiten rhythmisch stark verbesserten Films stellt Moore eben immer wieder auch die simplen und daher so existenziellen Fragen. Etwa warum die aus Arbeitnehmern bestehende Mehrheit sich meist auf die Seite jener stellt, welche die Arbeitgeber vertreten. Moores Antworten darauf sind ebenso simpel und gerade deshalb umso treffender. Es hat mit Beeinflussung zu tun, auch Propaganda genannt. Anschaulich zeigt er auf, wie soziale und sowieso sozialistische Konzepte von dem Machtmonster aus Medien und sonstigen Meinungsmachern als von Grund auf «unamerikanisch» und also des Teufels gebrandmarkt werden. Und was ist das, was Moore macht? Polternd, polemisch, populistisch? Aber gewiss doch. Sozialistische Propaganda ist das, was Moore macht – ganz einfach das gewitzte Gegenstück zu jener bürgerlichen Propaganda, die auf praktisch allen anderen medialen Kanälen betrieben wird, und mithin absolut zulässig.

Aufruf zur Revolution

Hatte Moore zuletzt in «Sicko» bezüglich des US-Gesundheitssystems mit sozialistischen Ideen lediglich geflirtet, so äussert er sich hier dezidierter: Am Schluss ruft er unverhohlen zur Abschaffung des Kapitalismus und somit zur Revolution auf. Manche, ganz viele werden geneigt sein, das als fürchterlich naiv abzutun. Doch – so würde Moore vielleicht entgegnen – wie naiv ist es eigentlich, unverdrossen jenen Glauben und seine Stimme zu schenken, die uns weismachen, nur unser Bestes zu wollen, indem sie auf eine immer weiter gehende Verschiebung des Kapitals auf die Seite der Allerreichsten hinwirken? Der eine oder die andere wird nach der jüngsten Begegnung mit Moore womöglich darüber nachdenken; das Zeug zur Revolutionsinitialzündung hat «Capitalism: A Love Story» dann aber wohl doch nicht. Schliesslich bleibt der Film grösstenteils auf die USA bezogen, von wegen Globalisierung. Für das Erstellen eines fundierteren Argumenatriums sind Revolutionsführer in spe deshalb mit Erwin Wagenhofers «Let’s Make Money» gewiss besser bedient. Wer sich zuletzt aber noch nicht genug aufgeregt hat und trotzdem schon kocht, sollte den neuen Moore keinesfalls verpassen.