von Sandro Danilo Spadini
Jetzt sind sie ihm nah. Denn sie sind die Auserwählten, 200 aus 10‘000. Und schon haben sie alle ein Auge auf ihn geworfen, bald dann auch das zweite, später wenigstens noch eine
Flaschenböden-Brille und ein Nachtsichtgerät. Am Schluss haben sie alle nicht nur Schmetterlinge, nicht nur Flugzeuge im Bauch, sondern ein F/A-18-Geschwader, das um einen Boeing-Dreamliner
schwirrt. Kurzum: Sie sind alle schwer verliebt. Schwer verliebt in den Ruhm. Den kraft ihres künstlerischen Talents in Aussicht stehenden Ruhm, durch den sie für immer leben werden: Fame – I’m
gonna live forever!
Vertrautes vs. Neues
«Fame»: Erst war das ein Film, dann eine
TV-Serie, hernach ein Broadway-Musical, später eine Reality-TV-Show, und jetzt ists ein Remake – und damit auch ein Wagnis. Wer wie Kevin Tancharoen mit dem Alan-Parker-Film von 1980 einen
Meilenstein der Filmgeschichte neuverfilmt (und das erst noch als Debütant), wird jedenfalls polarisieren. Dabei zeigt sich Tancharoen bei seiner aufdatierten Geschichte um eine Handvoll
Absolventen der New Yorker High School of Performing Arts absolut respektvoll gegenüber der Vorlage. Deren Struktur etwa hat er komplett beibehalten; geschildert wird der Weg vom
vielversprechenden Talent zum vollwertigen Künstler auch hier in fünf Kapiteln: Aufnahmeprüfung und die vier Jahre Studienzeit. Und gleich im Auftakt, wo einige Bilder aus dem Original
rauskopiert zu sein scheinen, setzt er den exakt gleichen kakofonischen Ton und den identischen mitreissenden Rhythmus. Ebenfalls festgehalten hat der vormalige Videoclip-Regisseur an vielen
singulären Episoden um erste Erfolge und Enttäuschungen sowie an der Typologie der Charaktere. Wir haben also wiederum die Wilden, die Ehrgeizigen, die Phlegmatischen, die Ausgeflippten, die
Schüchternen, die Leichtfüssigen, die Unterdrückten, die Perfekten – die ganze Palette halt. Erneut muss mithin die Wut abgebaut werden, die Emanzipation vollzogen, die Verschlossenheit abgelegt,
der Ernst gefunden, die Energie kanalisiert, muss das Potenzial ausgeschöpft werden – alles wie in Parkers Film. Was Tancharoen aber gemacht hat: Er hat die Episoden anderen Figuren zugewiesen
und stellt neue Beziehungen zwischen diesen her. Und diese Strategie des Wechsels zwischen Vertrautem und Neuem, die sich auch bei den dargebotenen Songs findet, ist gerade für Liebhaber des
Originals ungemein spannend.
Den Künsten gehuldigt
Ebenso tauglich ist das vom Original übernommene – einzig richtige – Prinzip, bei der Besetzung der Stars in spe auf Frischlinge zu setzen. Dass man dabei Leute gefunden hat, die glaubwürdig
rüberkommen, ist natürlich umso erfreulicher: Allesamt sind sie fähige Tänzerinnen, Sänger – und Schauspieler(innen). Faktisch hat Tancharoen alles richtig gemacht. Die einzige nennenswerte
Fehlentscheidung wurde anderswo, weiter oben, getroffen: nämlich die Laufzeit des Films gegenüber der Vorlage um eine halbe Stunde zu mindern. Dadurch sind im Remake nicht bloss die Figuren
weniger konturiert; auch ist kein Platz mehr für eine Vertiefung des nicht unwichtigen Konflikts zwischen E- und U-Kultur und vor allem die kritischen Themen, die Parkers Film dramatisch
wesentlich beschleunigt haben: etwa Schwangerschaftsabbruch, Homosexualität, Drogenmissbrauch. Wiewohl die das Phänomen «Fame» mitprägenden Spannungsfelder zwischen Schülern und Lehrern,
Kreativität und Disziplin, Schwung und Schweiss noch da sind, kommt das Ganze jetzt geglätteter daher. Ein Eindruck, der dadurch verstärkt wird, dass der Schauplatz New York heute ungleich
weniger rau ist als vor 30 Jahren. Indes setzt sich diese Glättung nicht auch noch inszenatorisch fort. Obwohl Tancharoen mit Recht hektischere moderne Kunstformen wie Hip-Hop neu einbringt,
bleibt seine Bildsprache konservativ, will sagen: keine schnellen Schnitte und kein Hochglanz, wie man es bei einem Videoclip-Regisseur befürchten könnte. Nicht zuletzt dies werden
«Fame»-Fanatiker zu schätzen wissen. Eine Huldigung der Künste und ihrer jungen Talente war Parkers Film – und dasselbe ist auf seine moderne Weise auch das Remake.