In kleinen Schritten zum grossen Showdown

Das Oscar-nominierte Kriminaldrama «Revanche» von Götz Spielmann ist ein weiteres Ausrufezeichen aus der sehr vitalen österreichischen Filmszene.

 

von Sandro Danilo Spadini

Im alpinen Skisport mögen wir mittlerweile den Rückstand auf die Österreicher verkürzt haben. Im Kino jedoch müssen wir uns erst gar nicht mit den Nachbarn messen wollen. Denn wo bei uns internationale Achtungserfolge seit Jahren ausbleiben, glänzt man weiter östlich fast ebenso lang schon mit regelmässigen Teilnahmen an den grossen Festivals und zuletzt gar mit Triumphen wie jenen Michael Hanekes in Cannes oder Stefan Ruzowitzkys bei den Oscars. Und wenn man zu diesen beiden Namen noch Leute wie Ulrich Seidl, Barbara Albert oder Jessica Hausner dazuzählt, wird endgültig offenbar, wie ungleich vitaler die österreichische Filmszene derzeit ist.

Ein neues Leben

Unbedingt noch ergänzt werden muss dieser Kreis um den Namen Götz Spielmann. Dies eigentlich schon seit dessen beeindruckendem Ensemblefilm «Antares» (2004), ganz sicher aber jetzt, nach dem Oscar-nominierten Bravourstück «Revanche». In diesem Schuld-und-Sühne-Drama erzählt Spielmann von einem ewigen Verlierer, der noch einmal das Blatt wenden will und dadurch die Hölle erfährt. Dezent wie konsequent heftet er sich dazu an die Fersen des Kleinganoven Alex (Johannes Krisch), verliert aber auch die anderen Protagonisten nie länger aus den Augen, namentlich den Dorfpolizisten Robert (Andreas Lust) und dessen Frau Susanne (Ursula Strauss). Die Wege von Alex und den Eheleuten vom Lande werden sich kreuzen, klar. Doch zunächst werden wir immer wieder ins Wiener Rotlichtmilieu geführt. Dort verdingt sich Alex noch als Handlanger eines schmierig-schweinischen Zuhälters (Type-Casting vom Feinsten: Hanno Pöschl), in dessen Puff auch seine Liebe arbeitet, die ukrainische Prostituierte Tamara (Irina Potapenko). Mit ihr hat Alex Pläne für ein neues Leben, fernab aller städtischen Verrohung, abseits jeglicher krimineller Versuchung und weit weg vom nichtsahnenden Chef. Das dazu nötige Startkapital will Alex mittels eines Banküberfalls beschaffen – dass ihn dies heillos überfordern wird, ist indes längst klar geworden. Es muss also zur Katastrophe kommen. Das schon deshalb, weil nun Robert ins Spiel kommt. Zwar gelingt es diesem nicht, Alex zu fassen. Aber ein für die Reifen des Fluchtautos gedachter Schuss aus der Dienstwaffe trifft Tamara tödlich. Und jetzt ist das ein neuer Film. Die Stadt ist weit weg, die Szenerie ländlich. Alex quartiert sich unweit vom Ort der Tragödie bei seinem mürrischen Opa (Johannes Thanheiser) auf dessen Hof ein, arbeitet tüchtig – und sinnt auf Rache, auf Revanche. Das Ziel seiner Vergeltung ist nah, will es doch der Zufall, dass Susanne mit dem Opa befreundet ist. Alex wartet aber zunächst ab. Plant. Studiert. Wägt ab. Und wartet.

Stiller Neonoir-Thriller

In kleinen Schritten führt uns Spielmann zu dem programmiert scheinenden Showdown; fast meditativ wird der Film, wenn er sich im Einklang mit dem Szeneriewechsel vom Thriller zum Psychogramm wandelt. Der Ton wird dabei freilich nicht freundlicher. Da ist der Opa, der schon immer gewusst hat, dass «der Bub» nichts taugt; da ist Robert, der mit dem Todesschuss nicht fertig wird; da ist Alex, der sich wohl nie mehr aufrappelt. Einzig die von der wie stets bewundernswerten Ursula Strauss verkörperte Susanne sorgt für ein wenig Lebensfreude, doch selbst bei ihr sind Abgründe da, wiewohl sexueller Natur, was wiederum die erotische Explizität des Anfangs aufrechterhält. Haftete dieser im Wiener Teil noch etwas Zärtliches an, so ist sie nun indes recht freudlos. Freudlos wie der Rest eben – was Spielmann jedoch nicht zum Anlass nimmt, wonnevoll voyeuristisch das Elend der Welt zu zelebrieren. Vielmehr geht er, unterstützt von der hervorragenden Kameraarbeit des hoch talentierten Martin Gschlacht, auf kühle Distanz und lässt es dem Publikum unbenommen, entweder Mitleid oder aber Verachtung für den weder als Sympathieträger noch als Hassobjekt gezeichneten Alex zu empfinden. Die darin und auch anderweitig offenkundig werdende Intelligenz des Skripts sowie das überzeugende Ensemble psychologisieren die Geschichte derart fundiert, dass auch mal die Plausibilität vernachlässigt werden darf. Das formale Geschick dazugerechnet, ist «Revanche» so ein stiller Neonoir-Thriller von Weltklasseformat geworden.