von Sandro Danilo Spadini
Wenn Hollywood seine gierigen Finger nach europäischem Filmgut ausstreckt, um es durch den Remake-Fleischwolf zu jagen, echauffiert sich der Cineasten auf dem alten Kontinent gerne mal. Dies
natürlich meist mit Recht, ist doch schon manch schöne Vorlage durch solch schnöde Amerikanisierung seiner Seele beraubt worden. Doch Obacht! Nicht überall, wo US-Remake draufsteht, ist auch
tatsächlich der letzte Dreck drin. Bisweilen treten nämlich auch blitzgescheite Menschen zu so einem an sich wenig ehrenvollen Unterfangen an. So etwa der mit «The Last King of Scotland» unlängst
in die Traumfabrik eingezogene Schotte Kevin Macdonald und die zu Drehbuch-Gurus avancierten Amerikaner Matthew Michael Carnahan («Lions for Lambs»), Tony Gilroy («Michael Clayton») und Billy Ray
(«Breach»). Dieses Quartett hat sich die britische Miniserie «State of Play» aus dem Jahre 2003 gepackt und daraus einen Spielfilm gedreht, der auch dank der amerikaspezifischen Modifizierungen
zum Ausrasten gut ist.
Investigativer Journalismus
Es ist wohl schlechterdings unmöglich, einen für das Heute tauglicheren Politthriller zu fabrizieren, als dies Macdonald und seine Schreiberlinge getan haben. Das Gerüst des schon brillanten
Ausgangsstoffs ist dabei freilich intakt geblieben: Die Geliebte eines profilierten Politikers kommt ums Leben. Zunächst schaut es nach Selbstmord aus. Ein mit besagtem Politiker befreundeter
Journalist hakt da jedoch nach – und stösst auf eine handfeste Verschwörung. Jetzt wirds gefährlich. Dunkle Gestalten allenthalben, ausgesendet von sehr (einfluss)reichen Interessengruppen. Angst
geht um, in den Politikkorridoren, in den Redaktionsstuben. Es wird jedoch weitergeforscht, -ermittelt, -geflüstert – es lebe der investigative Journalismus! Doch dann streckt das Kapital seinen
verlängerten politischen Arm aus. Stirbt die Story jetzt? Es ist ein undurchsichtiges Spiel. Um Macht und Moneten. Auf Leben und Tod. Es ist ein Spiel, das neu nicht in London, sondern in
Washington läuft. Der Politiker ist nun ein Kongressabgeordneter (Ben Affleck), der Desperado-Journalist (Russell Crowe) arbeitet für den «Washington Globe», und assistiert wird er ganz
zeitgeistig von einer zunächst auf den Klatschquotienten der Geschichte fokussierten Bloggerin (Rachel McAdams). Das sind wohl die Guten, zu denen sich auch noch die gehörnte Gattin des
Politikers (Robin Wright Penn) und die «Globe»-Chefredaktorin (Helen Mirren) gesellen. Die Bösen bleiben derweil dezent im Hintergrund. Ein altgedientes Polit-Alphatier (Jeff Daniels) könnte
dazugehören, fraglos ist da aber die private Sicherheitsfirma PointCorp dabei, ein Double der realen Skandal-Unternehmung Blackwater. Dieses Geschwür eines durchgedrehten Kapitalismus steht kurz
davor, einen Milliardenauftrag für die Wahrung der inneren US-Sicherheit zu bekommen – nichts weniger als die Privatisierung der Homeland Security wäre das.
Perfekter Film
Ein allzu weit hergeholtes Szenario, das uns in «State of Play» serviert wird? Hoffentlich. Die Spannung mindert dies jedenfalls so oder so nicht. Sie ist von der ersten Minute an
präsent und bleibt es dank manch geschickter Wendungen bis zur letzten, wobei sich Regie und Drehbuch die entsprechenden Meriten zu gleichen Teilen erwerben: Macdonald schlägt ein Tempo ein, das
zwar hoch, aber nicht horrend ist – ein ideales Tempo halt, unter dem sich auch die Atmosphäre stetig zu verdichten vermag. Die Autoren-Troika erfüllt ihrerseits nicht einzig den Genre-Auftrag
bravourös; ihre Updates zur Vorlage messen überdies aufs Exakteste und Aktuellste den Milieurahmen ab. Aufs Tapet kommt so nebst den Hintergründen des Polit-Schachers auch die derzeit so garstige
Situation der Zeitungsbranche – und zwar nicht nur der Einbettung dienend, sondern im Stile ganz grossen Kinos auch als Plot-Beschleuniger wirkend. Überragend sind schliesslich die zackigen
Dialoge. Sie sind es nicht zuletzt, die der Promibesetzung animierte Performances entlocken. Insofern braucht man sich nicht mal zu grämen, dass aus dieser die einst eingeplanten Brad Pitt und
Edward Norton ausgeschieden sind und durch Crowe und Affleck ersetzt werden mussten. Zumal sich die beiden perfekt in einen schon perfekten Film einfügen, der keinerlei Vergleich mit
Politthrillern wie «All the President’s Men» und all den anderen Genreklassikern aus den Siebzigern scheuen muss.