von Sandro Danilo Spadini
Kein Wunder, haben sie diesen Film gleich 13-mal für den Oscar vorgeschlagen. Schliesslich ist «The Curious Case of Benjamin Button» ein Werk so ganz nach dem Geschmack der Academy-Mitglieder: wuchtig im Bild, süsssauer im Ton,
ein bisschen tiefsinnig, ein wenig romantisch, zauberhaft gespielter Darling-Held, Rastellis in allen Departementen, massentauglich und anspruchsbewusst zugleich. Dass die Grossproduktion am 22.
Februar auch wirklich die Krone aufgesetzt bekommt und den Vorzug etwa vor einem lupenreinen Juwel wie Danny Boyles «Slumdog Millionaire» erhält, ist gleichwohl alles andere als fix. Vielmehr
könnte es mit dem ungewöhnlichen Epos im Kodak Theatre ähnlich laufen wie unlängst bei den Golden Globes, wo dessen Macher am Ende als ehedem noch stolze Nominierungsrekordler gänzlich durch die
Finger schauten – und dies trotz eines selten bescheiden aufgestellten Bewerberfelds. Bei Lichte betrachtet und also angesichts der ebenfalls kaum umwerfenden Güte ihres eigenen Erzeugnisses
müssten jene Ambitionierten freilich bereits als Triumph verbuchen, dass ihr Benjamin derart zahlreich und grossenteils erst noch in den bedeutsamen Kategorien für einen Goldmann in Betracht
gezogen wird.
Kein Forrest Gump
Das offenkundig nach Grösse strebende Werk nimmt eine Novelle von F. Scott Fitzgerald auf und erzählt die in den Zwanzigerjahren einsetzende und in der jüngsten Vergangenheit schliessende
Geschichte eines Mannes, der rückwärts altert. Eben Benjamin Button heisst dieser Sonderling, und er wird unter Abrufung einer Sonderleistung verkörpert von dem passend besetzten Superstar Brad
Pitt, welcher dem Helden nicht nur dank der Make-up-Leute fortwährend wechselnde Gesichter gibt und durch eine bestechende Leinwanddominanz entzückt. Eröffnet wird notabene ohne Benjamin und à la
«Titanic» und ergo mit der ins hohe Alter gelangten grossen Liebe, die auf dem Sterbebett diesen ganzen kuriosen Fall des Mannes in ihrem Leben Revue passieren lässt: Die Geburt ist
Tristan-tragisch. Die Mutter stirbt, der gramgebeugte Vater, ein reicher Fabrikant, packt sich sogleich das befremdlich ausschauende Neugeborene, um bei Nacht und Nebel loszurennen und seinen
einzigen Spross auf der Schwelle eines Altersheims abzusetzen. Es wird sich weisen, dass Benjamin dort genau am richtigen Ort ist – nicht nur, weil er hier mit Heimleiterin Queenie (Taraji P.
Henson) eine fürsorgliche Pflegemutter findet, sondern auch wegen seiner Konstitution, welche diejenige eines Greisen ist. Sodann werden wir halbwegs baffe Zeugen davon, wie unser mit geringsten
Überlebenschancen gestartete Held das Feld von hinten aufrollt und zunehmend an Virilität gewinnt. Dem faktischen Kindheitsalter entronnen und mittlerweile in der Form eines rüstigen Rentners,
setzen schliesslich Benjamins Reisen ein. Trotz verführerischer Gelegenheit wird Benjamin dabei kein Abriss der jüngeren amerikanischen Geschichte in den Rucksack geschmuggelt – eine im Grunde
weise Entscheidung, hätte Drehbuchautor Eric Roth sich doch andernfalls den berechtigten Vorwurf eingehandelt, etwas gar plump seinem vormaligen Grosserfolg «Forrest Gump» hinterherzurennen.
Indes vermag Roth den Verzicht auf eine zeitgeschichtlich relevante Kulisse nicht vollauf befriedigend mit anderweitig Anregendem aufzuwiegen, ist sein Benjamin doch abgesehen vom Physischen ein
ziemlicher Langweiler. Weder, was er tut, noch, was er sagt, ist übermässig einmalig, wenngleich bisweilen recht witzig. Und dass die Chance ausgelassen wurde, nebenher ein Kabinett des Skurrilen
aufmarschieren zu lassen, und in den Nebenfiguren stattdessen hauptsächlich Gebräuchliches präsentiert wird, ist beinahe ebenso unverzeihlich wie das Verschenken der grossen Cate Blanchett, mit
deren Charakter Benjamin eine eher notdürftig zur Jahrhundert-Romanze stilisierte ewige On-off-Beziehung unterhält.
Falscher Regisseur?
Mit David Fincher hat dieser Film aber auch einen nicht unbedingt auf sorgfältige Figurenzeichnung spezialisierten, eben daher und überhaupt unwahrscheinlichen Regisseur – wiewohl einen, der
schon in den Meisterwerken «Seven» und «Fight Club» gezeigt hat, wie man sich Brad Pitts Talent zu Nutze macht. Obzwar der Thrillerspezialist zuvor in «Zodiac» schon tempomässig zurückgeschaltet
und sich generell einem Wirken ausserhalb seines Stammgenres angedient hat, provoziert sein letztlich nur wenig variierter inszenatorischer Modus operandi immer wieder mal formal-inhaltliche
Inkongruenzen. So ist die bei allen angeschnittenen existenziellen Fragen grundsätzlich auf einer recht heiteren Note angestimmte Geschichte mit den Fincher-typischen dunkel-metallenen, mithin
Schwere suggerierenden Farben illustriert, was just beim gelegentlichen Emporsteigen in bare Bildgewalt etwas unangemessen Bedrohliches evoziert. Zudem tut er sich schwer mit dem sich
aufdrängenden Spielerischen, das etwa bei einer «logischeren» Lösung wie Tim Burton wohl voll zum Tragen gekommen wäre – die entsprechenden Elemente wirken fast ein wenig erzwungen und sind so
sparsam gestreut, dass sie den Wunsch nach einer Kadenzerhöhung im Erzählen der sich auf üppige 166 Minuten erstreckenden Geschichte nicht zerstreuen können. Andererseits ist all dies Mäkeln
unter dem Strich auch reichlich krämerisch, zumal Fincher mit seinem mitunter abwegigen Tun den Kitschquotienten klein hält und eine Spannung und Reibung erzeugt, wie sie bei einem auf Autopilot
ins Ziel steuernden «adäquateren» Regisseur eben gerade nicht entstanden wäre. Letzten Endes gehen denn auch 12 der 13 Oscar-Nominierungen inklusive jener für Pitt und Fincher schwer in Ordnung.
Einzig die Berufung in die Königskategorie scheint recht spendabel, ergeben doch all die prächtigen Einzelteile in der Summe kaum ein prämierungswürdiges Ganzes