von Sandro Danilo Spadini
Es kann auch anders laufen. Wie es den amerikanischen Elitesoldaten des Bombenräumungskommandos in Irak mitunter ergehen kann, zeigt Regisseurin Kathryn Bigelow gleich in der Auftaktszene ihres
tief beeindruckenden neuen Films «The Hurt
Locker»: Sergeant Matt Thompson (Guy Pearce) nähert sich im voluminösen Schutzanzug der tickenden Bombe. Macht das, was er trainiert hat. Macht das, was er kann. Macht alles richtig. Die
Gefahr scheint gebannt. Ein Seufzen der Erleichterung – zu früh. Ein Aufschrei des Entsetzens – zu spät. Der Terrorist hat die Fernzündung bereits aktiviert. Sergeant Thompson wird die Detonation
nicht überleben. Mehr Glück hat sein Nachfolger, mehr Glück als Verstand hat bisweilen Staff Sergeant William James (Jeremy Renner). Über 500 Bomben hat er schon entschärft – und dabei immer
wieder mit dem Feuer gespielt. James ist ein wahrer Könner seines Fachs, fraglos. Doch James ist auch ein Spinner, ein Lebensmüder, dem es nach all der Zeit im Krieg einfach nicht mehr reicht,
nur seinen Job zu tun. Er braucht die Gefahr, das Risiko, er braucht den Kick. Für ihn ist das Bombenentschärfen ein Extremsport, der Krieg ist seine Droge.
Spannung allenthalben
Und er kommt nicht los von seiner Droge. Will nicht loskommen. Wie bei einem Junkie leidet darunter aber auch das Umfeld, im Falle von James sind das zuallererst die direkt Untergebenen,
namentlich Sergeant JT Sanborn (Anthony Mackie) und Specialist Owen Eldridge (Brian Geraghty). Für sie ist der Krieg kein Spiel, kein Sport, keine Droge, die Gefahr, der James auch sie ständig
aussetzt, verschafft ihnen keinen Kick. Kein Wunder also, macht ihnen der neue Vorgesetzte bald ebenso sehr zu schaffen wie die allerorten lauernden Terroristen. Mit dem langsam auf seinen
Höhepunkt zusteuernden Konflikt innerhalb des Kommandos erhält «The Hurt Locker» so einen zweiten Brennpunkt, und zwar einen, der mindestens so spannungsgeladen ist wie das adrenalintreibend
inszenierte Geschehen in den Fallgruben von Bagdads Strassen. Am einen wie am anderen Ort geht Action-Spezialistin Kathryn Bigelow freilich überlegt und unaufgeregt vor, wird dabei indes nicht
nur dem intellektuellen, sondern jederzeit und knallhart auch dem Genre-Anspruch gerecht. Bigelows letzter Akteneintrag – der mediokere U-Boot-Thriller «K-19» – datiert aus dem Jahr 2002, kurz
davor hatte sie sich noch mit der langfädigen Literaturverfilmung «The Weight of Water» vertan. Die lange Pause scheint ihr nun jedenfalls gutgetan zu haben. Denn mit «The Hurt Locker» findet sie
wieder zu jener Form, die sie Mitte der Neunzigerjahre nach Filmen wie «Point Break» und «Strange Days» zur grossen weiblichen Ausnahmeerscheinung in dem männerdominierten Action-Genre werden
liess. Mehr noch: Mit «The Hurt Locker» und seiner schnörkellosen wie kunstvollen Bildsprache legt Bigelow etwas vor, was ihr bisher trotz aller erworbener Meriten versagt geblieben ist – ein
lupenreines Meisterwerk.
Perfekter Protagonist
Dabei ist das kein einfacher Film, einiges wird einem hier zugemutet – wie halt bei allen wahrhaft grossen Kriegsfilmen. Wie ebendort sind es auch in «The Hurt Locker» die psychischen Abgründe
und Abseitigkeiten, anhand deren der Wahnsinn, der Horror anschaulich, ja fast erfahrbar gemacht wird – und die einer Studie gleich gerade auch künftigen Generationen Einblick in das Wesen des
jeweiligen Kriegs und seiner Soldaten geben werden. In dem bislang sträflich unterschätzten Jeremy Renner («Dahmer») hat Bigelow dazu noch den perfekten Protagonisten gefunden, um diesem
Abgründig-Abseitigen auch ein Gesicht zu geben – eine höchst ambivalente Figur und eine ziemlich singuläre Erscheinung in der Filmgeschichte. Für Renner müsste «The Hurt Locker» zum Durchbruch
werden, für Bigelow ist dies der Film, den man eigentlich schon vor Jahren von ihr erwartet hat. Gemäss vergleichsweise seriösen Berechnungen ist er gar der in diesem Jahr am besten rezensierte
Film in den USA. Man kann das verstehen.