von Sandro Danilo Spadini
Ich habe doch gar nichts gemacht»: Wer mit solchen Worten reagiert, wenn die Gattin ihn aus heiterem Himmel um die Scheidung bittet, darf wohl als sympathisch naiv taxiert werden. Larry Gopnik
(Michael Stuhlbarg) ist in der Tat ein sympathischer Mann, ein naiver Mann – ein ernster Biedermann. Und was ihm im neuen Film von Joel und Ethan Coen alles angetan wird, hat er nun wirklich
nicht verdient. «A Serious Man» haben die berühmtesten Regie-Brüder der Filmgeschichte ihr 14. und fraglos persönlichstes Werk getauft, und einmal mehr meinen sie es nicht gut mit ihrem
Protagonisten. Bei den Coens ist eine Geschichte bekanntlich erst dann zu Ende erzählt, wenn ihrer Hauptfigur das Schlimmstmögliche widerfahren ist. So übel wie dem Matheprofessor Larry ist es
aber bislang noch keinem ihrer bedauernswerten Antihelden ergangen.
Zu Hause bei den Coens
Schauplatz von «A Serious Man» ist ein vom
sprichwörtlichen weissen Gartenzaun gesäumter US-Vorort, Mitte der Sechzigerjahre, jüdisches Milieu, im Mittleren Westen gelegen, vermutlich irgendwo in Minnesota. Mit anderen Worten: Es ist ein
Ort ähnlich dem, wo die Coen-Brüder aufgewachsen sind. Larry hat es sich dort gemütlich gemacht, mit einem vorerst befristeten Job an der örtlichen Schule, dem gelangweilten Ehedrachen Judith
(Sari Lennick), einem kiffenden Sohn (Aaron Wolff), einer ihn beklauenden Tochter (Jessica McManus), dem mit endlosen Toilettenaufenthalten und abstrusem Formelntüfteln die arbeitslose Zeit
totschlagenden Bruder (Richard Kind). Andere haben es gewiss besser getroffen, doch Larry ist genügsam und insofern zufrieden. Auf lange Frist vergönnt soll ihm aber also nicht einmal dies sein,
dieses wenige, was er sein Leben nennt. Der in ferner Vorzeit angesiedelte Prolog, die in Jiddisch gehaltene Dramatisierung einer Volkssage, hat uns einigermassen kryptisch auf Larrys kommendes
Ungemach vorbereitet: Ein vermeintlich Verstorbener besucht ein einfaches Ehepaar in deren karger Hütte. Was auch immer das im Detail für das nun Folgende bedeuten mag – es kann nichts Gutes
verheissen. Und so folgt auf Kosten des selbst von einer skurrilen Reihe überdrehter Rabbis ratlos zurückgelassenen Larry denn auch Running Gag auf Running Gag und Schicksalsschlag auf
Schicksalsschlag: Trennung, Verleumdung, Verschuldung, Probleme mit den Kindern, mit dem Bruder, mit dem Nachbarn – und bei alledem die Gewissheit: Es kann noch schlimmer kommen. Larry ist Hiob,
der gerechte und so willkürlich geknechtete Mann; «A Serious Man» ist damit die Theodizee, die Frage nach der Rechtfertigung Gottes; und die Coens sind in diesem Kosmos konsequenterweise der
grausame Gott. Und grausam sind sie, ist ihr Film, ist ihr abermals nihilistisch-fatalistischer Humor, rabenschwarz und bitterböse.
Geistiger Höhenflug
Der philosophisch-religiösen Implikationen sind in dem das Œuvre gewissermassen komplettierenden «letzten Stück im Coen-Puzzle» («New York Magazine») viele, der Leinwandgötter derweil keine. Brad
Pitt und George Clooney hiessen die Stars zuletzt in «Burn After Reading» – etwa Fred Melamed (brillant in der Rolle von Judiths Geliebtem) und eben Michael Stuhlbarg heissen sie hier. Letzterer
war in vollkommen unverständlichem Gegensatz zum Film für den Golden Globe nominiert; verdient hätten diese Anerkennung gerade auch Melamed und Richard Kind und sowieso die Coens. Denn anders als
Woody Allen, der andere grosse Hinterfrager jüdischen Glaubens und Atheismus, sind sie auch Formalisten par excellence, und dies in einer Striktheit, die nachgerade manisch anmutet. «A Serious
Man», so verschieden dieser fast komplett von jüdischen Figuren bevölkerte und mit jüdischen Darstellern besetzte Film anderweitig auch sein mag, reiht sich nahtlos in diese Coen-Tradition ein:
Alles ist stilisiert, die Atmosphäre unüberbietbar an Dichte, die hochpräzise Bildsprache zeitlich stimmig – ein würdiger Rahmen für den bisweilen biblisch schwindelerregenden geistigen Höhenflug
der unergründlichen Kinogötter Joel und Ethan Coen. Und ja: Sagenhaft lustig ist das Ganze auch.