von Sandro Danilo Spadini
Das ist bezeichnend für diese Ehe: Da hat Catherine (Julianne Moore) Tausende von Dollars rausgehauen, das Kleid 25 Mal gewechselt und die gemeinsamen Freunde ins schicke Designerheim geladen –
und dann verpasst Geburtstagkind David (Liam Neeson) in New York den Nachhauseflug nach Toronto. Um ein Missgeschick seitens des Göttergatten dürfte es sich dabei freilich nicht handeln. Vielmehr
hat der Herr Professor es wohl vorgezogen, seinen Jubeltag mit einer sündhaft attraktiven Studentin zu begehen. Die säuselnde SMS, die Gynäkologin Catherine tags darauf auf dem Handy ihres Mannes
sieht und diagnostiziert, nährt jedenfalls diesen Verdacht und all die anderen dahingehenden Verdachte der letzten Zeit: Der an der Uni über Don Giovanni dozierende David scheint selbst auch
nicht gerade ein Mönch zu sein und es mit der ehelichen Treue nicht (mehr) so genau zu nehmen. Doch der Verdacht alleine reicht Catherine jetzt nicht mehr; sie will Beweise, Klarheit,
endlich.
Die seltsamsten Dinge
Alles hier ist glatt, glänzend, alles wirkt schön, sauber, alles ist Fassade, Schein. Und just auf Letzteres spezialisiert ist die bestrapste junge Dame, die wir in der Eröffnungsszene von Atom
Egoyans Erotikthriller «Chloe» kurz gesehen haben
und die nach zügig absolviertem Aufwärmprogramm auch ins Blickfeld unseres (midlife-)kriselnden Bonzenpaars geraten wird: Die Edelprostituierte Chloe (Amanda Seyfried) verkauft nicht bloss ihren
Körper, sondern auch Fantasien, Illusionen. Dass sie im Zuge dessen gelegentlich auf Exotisches stösst, bringt die berufliche Ausrichtung gleichsam mit sich. Dennoch ist es nur leidlich naiv,
wenn die Blondine mit den grossen traurigen Augen seufzt: «Mir passieren immer die seltsamsten Dinge – wie Sie.» Denn ihr gegenüber sitzt jetzt für einmal eine Frau, sitzt Catherine, und
Catherine tritt hier an sie mit einem Wunsch heran, der anderen Ehefrauen der Albtraum schlechthin ist: Chloe soll ihren Mann verführen und sodann Bericht über Erfolg oder Misserfolg dieses
Unterfangens erstatten.
Ungünstige Erinnerungen
Welch sexuelle Verwirrnis diese absonderliche Form der Wahrheitsfindung auf allen Seiten auslösen wird, kann man sich vorstellen – dies umso mehr, wenn man sich an Anne Fontaines Thriller
«Nathalie…» aus dem Jahr 2003 erinnern kann. Auf diesem nämlich beruht Egoyans neuster Trip in die erotischen Abgründe, der gleichzeitig den zweiten Ausflug des intellektuellen Kanadiers in die
Mainstream-Gefilde markiert. Dort hat sich der Regiemeister offenbar eine Nische ausgeguckt. So schickt er wie in «Where the Truth Lies» (2005) auch in «Chloe» seine Mimen in eine Ménage-à-trois
– wobei er sich um Berührungsängste aufseiten der Damen nicht zu sorgen brauchte: Sowohl Julianne Moore (in «The Private Lives of Pippa Lee) als auch Amanda Seyfried (in «Jennifer’s Body») haben
zuletzt kinematische Erfahrungen mit der gleichgeschlechtlichen Liebe gesammelt. Freilich geht es unter dem alten Erotomanen Egoyan ungleich zünftiger zur Sache, geradeso wie in den
schweisstreibenden Schmuddel-Thrillern der späten Achtziger und frühen Neunziger. Das indes ist nicht zwingend ein günstiger Referenzwert, aber auch für den im Lounge-Chic gehaltenen Film als
Ganzes ein recht tauglicher, zumal etwa die gelackte Oberfläche und die schmierige Musik ebenfalls an die Zeiten von «Fatal Attraction», «Basic Instinct» und Konsorten gemahnen – und die
Schlussszene gar noch überaus unschöne Erinnerungen an die Madonna-Katastrophe «Body of Evidence» evoziert. Ganz so trashig ist «Chloe» dann aber doch nicht. Schön etwa, wie Egoyan seinen elegant
fotografierten Film sanft und ohne jedes cineastisches Chichi vom Drama zum Thriller überführt; imponierend zudem, wie die aufstrebende Amanda Seyfried aus der an diesem Punkt ihrer Karriere
recht mutigen Rollenwahl Nutzen zieht. Ihre Figur ist hier ohnehin die einzig spannende. Glaubwürdig aber ist sie so wenig wie die psychologische und intellektuelle Tiefe anpeilende Story mit
ihrer viel zu weit im Voraus angekündigten Pointe.