von Sandro Danilo Spadini
Der erste Trailer zu «Inception» tauchte bereits
vor rund einem Jahr im Internet auf. Allzu aufschlussreich war er nicht, zur Handlung verriet er nur so viel: «Dein Verstand ist der Ort des Verbrechens.» Das liess darauf schliessen, dass es
sich hierbei wohl um einen Thriller handeln würde. Einen der speziellen Sorte wohlgemerkt, Science-Fiction vielleicht. Was zudem durchschimmerte: Hier scheint mit der Schwerkraft etwas nicht zu
stimmen. Und das wars. Der Rest blieb bis zum US-Kinostart vor zwei Wochen das bestgehütete Geheimnis in Hollywood. Und das wiederum führte dazu, dass der Hype um «Inception» geradezu monumentale
Ausmasse annahm. Eine kinematografische Revolution sei das, der Film des Jahrzehnts, unkten Branchenkenner und Kinofans in harmonischem Einklang und mit durchaus begründet scheinendem
Superlativismus. Und was ist jetzt, wo man endlich schlauer ist? Nun, «Inception» ist in der Tat ein Thriller, Science-Fiction trifft es halbwegs. Ebenso zutreffend: Der Ort des Verbrechens ist
der Verstand, mit der Schwerkraft stimmt etwas nicht. Der Rest? Schwer zu beschreiben, fast unmöglich zu beschreiben, eigentlich unnötig zu beschreiben. Denn: Das muss man schon selbst gesehen
haben. Denn das ist anders als alles andere. Das ist verblüffend, verrückt, verwegen. Das ist ein Psychospiel, ein Albtraum, ein Wahnsinn. Das ist – in der Tat – eine kinematografische
Revolution, der Film des Jahrzehnts und all das.
Waghalsiges Konzept
Den Hype im Vorfeld überhaupt erst ausgelöst hat freilich nicht nur das genial orchestrierte Marketing mit der restriktiven Informationspolitik, sondern vor allem auch der Name Christopher Nolan.
Das ist jener 40-jährige Engländer, der vor zehn Jahren in «Memento» eine Geschichte rückwärts erzählt hat; der später in «The Prestige» das Publikum durch zwei Zauberer abermals an der Nase
herumgeführt hat; der die Batman-Serie neu erfunden und mit deren jüngstem Ableger «The Dark Knight» den magistralsten Blockbuster-Film seit einer Ewigkeit inszeniert hat. Deshalb drehen alle
durch, wenn Christopher Nolan auf den Plan tritt. Am Skript von «Inception» soll er zehn Jahre gearbeitet haben; das jederzeit stichhaltige Ergebnis wirkt nun genau so: als habe ein überlegener
Geist wie Christopher Nolan zehn Jahre daran gearbeitet. Es ist ein waghalsiges Konzept: fünf Erzählebenen mit identischem Personal und unterschiedlichem Zeitkonzept, die alle voneinander
abhängig sind. Okay, das klingt jetzt gar abstrakt, abstrakter auch, als es tatsächlich ist. Also nochmals, diesmal konkret: Es geht um Betriebsspionage de luxe. Der Protagonist heisst Cobb
(Leonardo DiCaprio) und ist ein Dieb 2.0, der für seine Auftraggeber in die Gedanken von Geschäftskonkurrenten eindringt und dort deren Idee stiehlt. Nun wird er vom Milliardär Saito (Ken
Watanabe) angeheuert, um das Gegenteil davon zu tun: um im Kopf von dessen Rivalen Fischer (Cillian Murphy) eine Idee zu hinterlegen, die dieser bei wiedererlangtem Bewusstsein als seine eigene
wahrnehmen und ihn zum Zersplittern seines eben geerbten Imperiums veranlassen soll. Dieses nie zuvor angewandte Verfahren nennt sich «Inception», und für Cobb wäre das der letzte Job und jener
Job, der ihm für einmal nicht finanziellen, sondern seelischen Nutzen brächte. Als Erfolgshonorar stellt ihm Saito nämlich in Aussicht, mittels seiner Beziehungen auf die Löschung eines
Haftbefehls gegen ihn hinzuwirken. Das würde Cobb endlich zu seinen Kindern zurückbringen und ihn reinwaschen vom Vorwurf, den Tod seiner Frau Mal (Marion Cotillard) verschuldet zu haben.
Traditionelle Elemente
Zu verraten, wie die Geschichte hier ausgeht, wäre zwar lästig, letztlich aber lässlich. Denn der Weg ist hier das Ziel. Wie es zu dem kommt, was am Schluss ist: Das ist das Interessante, das ist
das Besondere, das ist das Revolutionäre an «Inception». Auf diesem Weg, der in der Beschreibung weit kompliziert ist als in der tatsächlichen Beschreitung, bedient sich Nolan auch gerne ganz
traditioneller Kinomotive – was ebendieses Revolutionäre auf ein erträgliches und verständliches Mass herunterbricht. So wird dem Helden ganz klassisch eine Hypothek aufgebürdet, die ihn – in der
mystisch konzipierten Person seiner verstorbenen Frau – mehrfach im entscheidenden Moment aus der Bahn wirft; das verleiht dem Plot nicht nur einen persönlichen Touch, sondern auch den nötigen
Drall. Und wie im typischen «Heist-Movie» muss Cobb ein Team von Spezialisten rekrutieren, die für das Konstruieren und das Funktionieren von Fischers Traumwelt unerlässlich sind: einen
Koordinator (Joseph Gordon-Levitt), einen Chemiker (Dileep Rao), einen Meister der Täuschung (Tom Hardy) und eine Architektin (Ellen Page). Letztere ist erstmals dabei, und das ist für uns
insofern ein unschätzbarer Vorteil, als Cobb ihr (und damit uns) sein Tun en detail erklären muss. Die Eckpunkte der Traumwelt gemäss Cobb sind die: Man weiss nie, wie der Traum angefangen hat;
und die Zeit läuft im Traum langsamer. Weil für Fischer aus Sicherheitsgründen vier Traumebenen kreiert werden, haben wir es inklusive der Realität mithin mit fünf verschiedenen Zeitkonzepten zu
tun: Was auf Ebene 1 eine Sekunde dauert, entspricht auf Ebene 2 einer Minute, auf Ebene 3 einer Stunde, auf Ebene 4 einem Tag, auf Ebene 5 einer Woche. Oder so ähnlich.
Wohldosierte Effekte
Tücken hat die Physik noch anderweitig – die Sache mit der Schwerkraft etwa –, und in deren Inszenierung findet die Innovation der Narration ihr visuelles Äquivalent. Einnehmend, verblüffend und
beängstigend sind die Bilder, die Nolan gefunden hat. Und perfekt ist die Dosierung der Effekte, sodass diese ihrem Namen auch gerecht werden und stets den gewünschten Effekt erzielen. Anders als
bei David Lynch gehorcht diese in hochgradig edlem Look gestaltete und rundum brillant bespielte Traumwelt ansonsten freilich der Logik der realen: Die Personen handeln darin gleich, wie sie
unter den so manipulierten Umständen auch in wachem Zustand handeln würden. Und ähnlich wie bei David Lynch ist das hier etwas, was der Amerikaner keck als «Mind Fuck Movie» bezeichnet – ein Film
also, der mit unseren Gedanken, nun ja, Sachen macht. Insofern bleibt man nach der letzten Klappe besser noch ein wenig sitzen und sammelt sich, bevor man wieder in die richtige Welt hinausgeht
und diesen hier wieder einmal magisch gewordenen Ort namens Kino verlässt. Worte zu finden für das, was man gerade erlebt hat, bleibt gleichwohl schwierig. Wirklich sagen lässt sich derweil so
viel: «Inception» ist ohne den Hauch eines Zweifels einer der besten Filme, die je gedreht wurden.