Nur der berühmte Name ist übrig geblieben

Regisseur Ridley Scott und Hauptdarsteller Russell Crowe machen aus der Legende Robin Hood eine historische Figur – und scheren sich dabei weder um die fiktionale noch die reale Geschichte.

 

von Sandro Danilo Spadini

Es sollte schon ein wahrer Meister das Regiezepter schwingen, wenn man einen dutzendfach erzählten Stoff abermals auf die Leinwand bringt. So wie Roman Polanski bei «Oliver Twist». Oder Tim Burton bei «Alice in Wonderland». Oder wie nun Ridley Scott bei «Robin Hood». Doch reicht das, um eine solch obsolet erscheinende Rezyklierungsaktion zu rechtfertigen? Die Macher des neusten «Robin Hood»-Streichs meinten Nein. Nichts weniger als «die unerzählte Geschichte des Mannes hinter der Legende» wollen sie hier laut Promotion kredenzen. So, so. Es beginnt freilich alles recht klassisch. Wir werden informiert, dass man das Jahr 1199 schreibt, und Regiemuskelprotz Scott macht keine Gefangenen und lässt es schon nach drei Minuten in einem perfekt choreografierten Gefecht scheppern, dass sich die Balken biegen. So weit, so erwartet, und die nächste Verwüstung lässt dann auch nicht lange auf sich warten. Schlag auf Schlag geht es weiter. Mal fliegen die Pfeile, mal bloss die Fäuste.

Nebendarsteller trumpfen

Unterbrochen ist dieses initiale Action-Stakkato allerdings von Einsprengseln, die nahelegen, dass Scott und Drehbuchautor Brian Helgeland hier bemüht sein werden, eine Geschichte zu erzählen, die mehr als der Pausenfüller für das Feuerwerk ist. Drei Schauplätze zeigen sie bereits zum Start, weitere werden folgen. An Nottingham und Sherwood Forest indes haben sie vorderhand kaum Interesse – die paar Szenen mit der dort hausenden Lady Marion (Cate Blanchett) haben mehr dekorativen Charakter. Denn Robin Longstride (Russell Crowe) ist noch ein gutes Stück weg von Nottingham. Er kämpft zunächst im Heer von König Richard Löwenherz (Danny Huston), muss sich aber neu orientieren, als dieser auf seinem Kreuzzug umkommt. Nun folgt eine – ausserordentlich lange – Phase, in der die Pyromanen Pause haben. Jetzt wird vor allem intrigiert, geplant und auch ein wenig gescherzt – Letzteres indes mit mässigem Rendement. Die Newcomer Oscar Isaac als Tyrannenkönig John und Mark Strong als opportunistischer Schlächter Godfrey – beide wie Crowe schon bei Scotts «Body of Lies» im Aufgebot – haben nun ihren grossen Auftritt; William Hurt hat als Schatzkanzler auch was zu sagen, die immens attraktive Léa Seydoux als frischgebackene Königin Isabella leider etwas weniger. Geradezu verblüffend ist es, wie Scott es hingekriegt hat, jede grössere Rolle absolut top zu besetzen. Und überraschend ist, wie viel Raum er den Nebendarstellern gibt. Dass sich so manche Szene findet ohne Beteiligung Crowes und Blanchetts, geht aber naturgemäss auf Kosten von deren Figuren, die erst spät Konturen erhalten. Und auch die Liebesgeschichte von Robin und Marion, die erst nach einer guten Stunde einsetzt, bleibt oberflächlich und zudem wenig enthusiastisch und romantisch – was auch mit der ausbaufähigen Chemie zwischen den beiden australischen Stars zu tun hat.

Kein Kampf für die Armen

Der Verzicht auf Totalfokussierung auf die Titelfigur ist nicht die einzige Überraschung, die Scott im Köcher hat. So hat er seinen Robin Hood all dessen entledigt, womit man die Legende gemeinhin assoziiert: des ulkigen Kostüms, der Scharmützel mit dem Sheriff, des Umverteilungskampfs zugunsten der Armen, mehrheitlich sogar Pfeil und Bogen. Recht eigentlich macht er aus der Legende eine historische Figur, einen grimmigen Kämpfer für Demokratie, der bestens in die heutige grimmige (Film-)Zeit passt. Dieser Robin Hood ist quasi ein Ur-Onkel von Daniel Craigs James Bond, und wie damals die Macher von «Casino Royale» erzählt auch Scott von der schweren Geburt der legendären Figur. So endet der um Neuzeitbezüge bemühte jüngste «Robin Hood» nach einer fulminanten, allerdings mehr an die Invasion der Normandie erinnernden Schlachtszene mit Robins Rückzug in die Wälder als radikalisierter Outlaw. Jetzt erst beginnt die Legende, doch jetzt schliesst der Film, der sich um diese ebenso wenig schert wie um historische Akkuratesse. Der Unsinn, der hier verzapft wird, wird jeden Geschichtsprofessor, ja jeden Geschichtsprimarlehrer ausrasten lassen. Ansonsten jedoch dürfte dieser exzellent fotografierte und brillant beleuchtete Film breite Massen erquicken – selbst wenn vom Helden nur der Name übrig geblieben ist.