von Sandro Danilo Spadini
In den letzten Jahren hat sich Sherlock Holmes auf der Leinwand rar gemacht. Zuletzt in grösserem Stil war er vor über 20 Jahren in der Person von Michael Caine im Kino zu sehen. Madonnas
Ex-Gatte und Englands Ex-Wunderkind Guy Ritchie bringt den Meisterdetektiv nun aber in einem Film zurück, der aller Voraussicht nach der Startschuss für eine neue Franchise ist. Den zerzausten
Holmes gibt darin Comeback-Kid Robert Downey Jr. – und er tut dies dermassen gut, dass sie ihm gleich den Golden Globe dafür in die Hand gedrückt haben. In dem schlichtestmöglich «Sherlock
Holmes» betitelten Gaudistück stolpert und strauchelt und flaniert und flitzt sein Holmes durch Londons unwirtlichste Gefilde und löst auf seine unnachahmliche, aber ein gutes Stück weit
persiflierte Art einen Fall, der von globaler Bedeutung ist.
Sherlock als Superheld
Am Rockzipfel hängt Holmes dabei natürlich der unerschütterliche Dr. Watson, in idealer Weise verkörpert von Jude Law. Quasi zur Vorspeise klären die beiden eine Serie von Ritualmorden auf, indem
sie den schwer überdrehten Lord Blackwood (stark: Mark Strong) in flagranti beim Exerzieren einer dramatisch-drastisch unstatthaften Prozedur ertappen, die einer jungen Frau gesundheitlich so
abträglich wie nur irgendwas wäre. Der Lord wird sodann vom ewig zu späten Scotland Yard verhaftet, hernach eingekerkert, abgeurteilt und endlich gehängt; Watson bestätigt seinen Tod, Holmes
wendet sich in der Folge wieder Spinnerei und Müssiggang zu und geht dabei dem heiratswilligen und vor dem Absprung stehenden Watson unerbittlich auf den Senkel. So weit, so gut, so normal. Doch
sowohl mit gut als auch normal ist dann bald wieder Schluss. Enervierte das aus der Versenkung aufgetauchte und von kriminellen Energien beherrschte Ex-Liebchen Irene (charismatisch: Rachel
McAdams) Holmes noch vornehmlich im Persönlichen, erschüttert ein anderer wieder Aufgetauchter und mit dem Kriminellen ungleich strammer im Bunde Stehender ihn schliesslich nachgerade
existenziell: Lord Blackwood hat sein düsteres Prophezeiungsgebrabbel wahrgemacht, ist anscheinend von den Toten auferstanden und lässt seine offenbar übermenschlichen Kräfte wie auch manche
futuristische Apparatur spielen, um erst London und fürderhin wohl die Welt nach Belieben zu terrorisieren. Und dies in einer Manier, als sei er einem James-Bond-Film entsprungen – was den trotz
lamentablen Lebenswandels erstaunlich fitten Holmes zu wahrem Superheldentum zwingt.
Ein Duo für die Zukunft
Nicht gar alles haut hin bei dieser «Sherlock
Holmes»-Turbulenz, doch bedeutet die 90-Millionen-Dollar-Produktion für den zuletzt chronisch formschwachen Guy Ritchie einen grossen Satz zurück zu den so vielversprechenden Anfängen. Nach
dem monströs miserablen «Swept Away», dem nervtötend stilvernarrten «Revolver», einem schubladisierten TV-Projekt samt abgedrehtem Pilot sowie dem erst Ansätze einer Genesung offenbarenden
«RocknRolla» vom letzten Jahr scheint der 41-Jährige nun jedenfalls wieder bei Besinnung zu sein. Massiv zurückgefahren hat er so etwa den ganzen Schnickschnack, der in den Neunzigern wohl chic
war, inzwischen aber längst abgehakt sein sollte. Das bedeutet zwar nicht, dass Ritchie in «Sherlock Holmes» mit der ruhigen Hand eines Routiniers am Werke war; doch hat er es verstanden, eine
Balance zwischen Modernem und Traditionellem herzustellen. Dass sich sein neuer Film wieder annähernd auf dem Niveau von «Lock, Stock and Two Smoking Barrels» und «Snatch» bewegt, ist indes auch
den Darstellern geschuldet, allen voran natürlich Downey Jr. Dessen formidable und Zwerchfell attackierende Leistung entfaltet sich umso besser, als er in Jude Law den perfekten, weil ungleich
dezenter auftretenden Mitspieler hat. Dass sich ein Star von Laws Kaliber mit der ultimativen «Sidekick»-Rolle begnügt, verblüfft und wird ihm vom Drehbuch denn auch mit zusätzlichen Konturen und
einigen schönen Profilierungsplattformen verdankt. Für die Zukunft, also für eine angedachte Sherlock-Holmes-Franchise, liefert das Duo Downey Jr./Law sicherlich ein noch schlagkräftigeres
Argument als Guy Ritchie.