Wie man sich beim Freundemachen Feinde schafft

Regisseur David Fincher zeigt in «The Social Network» die Entstehungsgeschichte von Facebook. Was sich auf dem Papier eher spröde anhört, entpuppt sich als lupenreines Meisterwerk.

 

von Sandro Danilo Spadini

26-jährig ist er, 6,9 Milliarden Dollar besitzt er, 500 Millionen Freunde hat er – und glaubt man David Finchers Drama «The Social Network», so ist Facebook-Gründer Mark Zuckerberg ein ziemlicher Widerling: ein gewiss brillanter Computer-Nerd, der aber wenn nicht machiavellistische, so doch zumindest shakespearehafte Züge offenbart, wenn er einstige Weggefährten und Ideengeber aus dem werdenden Imperium Facebook rausbescheisst. Gleich zwei juristische Auseinandersetzungen dienen «Seven»-Regisseur Fincher denn auch als Aufhänger, um die Entstehungsgeschichte des Internet-Netzwerks aufzurollen. Wir kehren so ins Jahr 2003 und an die Eliteuniversität von Harvard zurück, wo Zuckerberg, mustergültig verkörpert von Jesse Eisenberg, ein soziales Schattendasein als tüftelnder Hacker fast ohne Freunde fristet. Und prompt wird er in der Eröffnungsszene auch noch von seiner Freundin Erica (Rooney Mara) abserviert. Die wortgewaltige Sequenz ist gleich doppelt und auf zwei Ebenen schön illustrativ: Sie etabliert die Hauptfigur als sozial inkompetentes Genie; und sie demonstriert die in den kommenden zwei Stunden noch mannigfach zu bewundernde Klasse von Drehbuchautor Aaron Sorkin, der sich mit seinen smarten Stakkatodialogen in der TV-Serie «The West Wing» zu einem der begehrtesten Schreiber Hollywoods emporgeschrieben hat.

Flotte U30-Auswahl

Sorkin und Fincher – das ist eine Verbindung, die im Filmhimmel geschlossen wurde, und das sind entsprechend die ersten Garanten dafür, dass «The Social Network» ein blitzsauberes, lupenreines Meisterwerk geworden ist. Keinen geringen Anteil daran hat freilich auch die U30-Auswahl, die den jugendlichen Helden in diesem geistreichen und zeitgeistigen Husarenritt durch ein Stück jüngerer Wirtschafts- und Gesellschaftsgeschichte Gesicht, Herz und Seele gibt. So begeistern neben dem höchst präsenten Dreh- und Angelpunkt Eisenberg sowie Mara – die soeben als Lisbeth Salander für Finchers Neuverfilmung der «Millennium-Trilogie» besetzt wurde – auch Justin Timberlake in der Rolle des überspannten Napster-Erfinders Sean Parker und, nicht zuletzt und nicht zu knapp, Andrew Garfield als Facebook-Mitgründer Eduardo Saverin. Saverin ist zu Harvard-Zeiten Zuckerbergs einziger engerer Freund – und er ist es auch, der das Berechnende und Egoistische von dessen Wesen auf die übelste Weise zu spüren bekommt. Denn während sich beim Kumpel die Anzahl (virtueller) Freunde sekündlich potenziert und Facebook also in ungeahnte Höhen abhebt, wird Saverin eiskalt aus dem Business gedrängt. Als Klägerpartei in einer der beiden Schlichtungsverhandlungen, in die timingsicher vor- und zurückgezappt wird, darf er dann ausführlich sein Leid schildern. Und gerade seine Ausführungen gereichen Zuckerberg so gar nicht zur Ehre und machen diesen endgültig zu einem verachtungswürdigen Antihelden – und in letzter Konsequenz zu einer solch spannenden Figur.

Heisser Oscar-Kandidat

So technisch und trocken sich das Ganze auf dem Papier auch anhören mag – so farbig und flüssig hat Fincher «The Social Network» inszeniert. Seinen aus epischen Streifen wie «Fight Club» oder zuletzt «The Curious Case of Benjamin Button» allseits bekannten und geschätzten Hang zur düsteren Bildgewalt kann der 48-Jährige hier zwar nur bedingt ausleben, zumal ein Grossteil des Films in geschlossenen Räumen spielt. Doch natürlich ist es Finchers Ehrgeiz, mehr zu sein als bloss dienstfertiger Ausführgehilfe des entfesselten Wortakrobaten Sorkin. Und natürlich versteht er es schliesslich selbst unter den gegebenen räumlichen Bedingungen, dem intellektuell messerscharfen Werk auch in visueller Hinsicht seinen Stempel aufzudrücken. «The Social Network» ist für den Thrillerspezialisten Fincher zwar ein untypisches Projekt, so wie es schon «Benjamin Button» war. Anders als dort ist das dem Endprodukt indes nicht negativ anzumerken – und anders als dem Vorgänger ist Finchers neustem Streich, der ein Geniestreich in der Art von «Citizen Kane» und der absolute Liebling des Jahres der US-Kritiker ist, der Oscar-Gewinn zuzutrauen.