von Sandro Danilo Spadini
Einiges Übles hat sich getan seit Oliver Stones «Wall Street» von 1987. Im richtigen Leben hat sich die Gier der Börsianer nochmals potenziert, sodass der schurkige Börsenhai Gordon Gekko in der
späten Fortsetzung «Wall Street: Money Never
Sleeps» durchaus mit Recht behaupten darf, seine einstigen Verfehlungen seien Krimskrams verglichen mit den heutigen Praktiken. Das Kino des Oliver Stone hat sich unterdessen auch nicht
gerade erfreulich entwickelt; über zehn Jahre sind seit dem letzten grossen Wurf von Hollywoods Chefprovokateur verstrichen. Und der Star-Barometer von Gekko-Darsteller Michael Douglas zeigt
gleichfalls stetig nach unten: Die letzten drei Filme mit dem gesundheitlich angeschlagenen 65-Jährigen im Lead haben es trotz gewisser Qualitäten nicht mal in die hiesigen Kinos geschafft. Kein
Wunder, klammert sich Douglas nun an jene Rolle, die seinen Stern einst erst so richtig zum Leuchten brachte. Und doppelt kein Wunder, ist dieser Gekko doch einer der charismatischsten Bösewichte
der Filmgeschichte.
Reformierter Guru?
Umso grösser ist dann freilich die Verwunderung, wenn Gekko nun den geläuterten Börsenguru gibt, der nicht länger dem Geldgötzen huldigen mag. Fünf Jahre hat er nach seiner Vertreibung aus dem
Abzockerparadies im Gerichtssaal gesessen, acht Jahre dann im Knast, weitere sieben schliesslich hinter der Schreibmaschine beim Verfassen von Kritischem zu Kapitalistischem. Diese Zeitrechnung
bringt uns ins Jahr 2008 und damit in eine Zeit, wo Subprime, Swaps und Derivate noch nicht Allgemeinwortschatz sind. Und da steht ein ergrauter und ungegelter Gekko nun mit offenem Hemd auf
einer Universitätsbühne und predigt von der nahenden weltwirtschaftlichen Apokalypse und verdammt den moralischen Bankrott der Wall Street. Unter der Zuhörerschaft, andächtig und noch etwas
ungläubig lauschend: Jake Moore (Shia LaBeouf), unser junger Protagonist und nicht nur ein Wall-Street-Broker, sondern auch mit Gekkos entfremdeter Tochter Winnie (Carey Mulligan) liiert. Ein Typ
wie vor ihm in Teil eins Charlie Sheen alias Bud Fox, doch anders als dieser kaum anfällig für Gekkos Verführungskünste. Denn Jake sucht keinen Mentor; den hat er in seinem Ex-Boss (Frank
Langella) sein Leben lang gehabt und just durch dessen Selbstmord verloren. Vielmehr sucht er einen Verbündeten für einen Racheplan. Gerichtet ist dieser gegen jenen punktgenau von Josh Brolin
gespielten Raubritter der Neuzeit, der sowohl für den Freitod von Jakes Ziehvater als auch die Verurteilung Gekkos verantwortlich ist. Dass Gekko hier nur zu gerne mitmacht, weist sich schnell –
was seine wahren Motive sind, muss indes spekulativ bleiben.
Unterlaufene Erwartungen
Familiendrama und Finanzverwerfungen, Vergebung und Vergeltung, Persönlichkeitsfindung und Gesellschaftsfragen: Es steht wieder viel auf dem Spiel – und die grosse Frage ist, ob Oliver Stone
endlich aus der Formkrise findet. Nun, unbestritten ist das sein stimmigster und vor allem schlüssigster Film seit «Any Given Sunday». Nach «World Trade Center» und der Bush-Biografie «W.» ist
dies aber auch das dritte Indiz dafür, dass Stone nicht mehr den Biss von früher hat. So scheint er hier vom skandalösen Tun der Wall Street mehr fasziniert denn enerviert zu sein und
vernachlässigt darob trotz manch Erhellendem eine stürmischere und fundiertere Kritik. Ungleich unnachgiebiger forscht er derweil nach der Motivation seiner wie eh und je in Shakespeare-Höhen
schwebenden Akteure. Doch hat der grosse Schauspieler(sklaven)führer zur Unterstützung dessen ausser aus Douglas aus seinem Ensemble für einmal nicht das Maximum herausgepeitscht. Dass das Ganze
bisweilen arg kompliziert wird, ist indes typisch Stone. Umso löblicher ist es, dass sein über die Musik von Brian Eno und David Byrne schöne Achtzigerjahre-Reminiszenzen evozierender Film selbst
in Momenten theoretischer Ausführungen noch mächtig Drive hat – und dass er stets nicht nur optisch, sondern bis kurz vor dem abrupt-unfertigen Ende auch inhaltlich fliesst. Oliver Stone hat hier
einen Film gedreht, der vieles nicht ist, was man erwartet hätte, und vieles ist, was man nicht erwartet hätte. Per saldo ist das wohl öfter gut als schlecht. Gleichwohl hätte man sich einen
wütenderen Oliver Stone gewünscht.