von Sandro Danilo Spadini
Wahrlich ein Kauz muss sein, wer von seinem eigenen Hochzeitsfest türmt, um der ausgerechnet jetzt entdeckten Liebe seines Lebens hinterherzujagen. Und ein ziemliches Ekel muss sein, wer den
kränklichen Mann seiner Ex-Frau mitten in der Nacht telefonisch aufscheucht, um ihn besoffen auf ein Neues zu beschimpfen. Ein Kauz und ein Ekel – beides ist Barney Panofsky (Paul Giamatti)
fürwahr. Er war es schon immer, wie die in den Siebzigern spielende Szene mit seiner Hochzeit zeigt; und er wird es immer bleiben, wie das in der Gegenwart stattfindende Telefon-Intermezzo
illustriert. Doch wer ist dieser Barney Panofsky abgesehen davon? Und warum sollten wir uns noch mal für ihn interessieren und ihm 134 Minuten unseres Lebens schenken? Nun, Barney Panofsky ist
nicht nur der Held im Kinodebüt des langjährigen Fernsehregisseurs Richard J. Lewis («C.S.I.»); er ist auch die Hauptfigur im letzten Roman des verstorbenen jüdisch-kanadischen Autors Mordecai
Richler. «Barney’s Version» heissen Buch wie
Film, und anschauen sollte man sich Letzteren vor allem wegen Hauptdarsteller Paul Giamatti.
Die drei Frauen
Einen hochverdienten Golden Globe haben sie Giamatti gegeben für die Darstellung dieses saufenden, rauchenden, fluchenden Montrealer Produzenten einer erbärmlichen TV-Soap. Und schwer fällt es,
sich ein anderes Gesicht für Barney Panofsky vorzustellen als jenes bärtige des geradeso zynischen und neurotischen Griesgrams aus «Sideways». Was Giamatti zumindest mit seinem unaparten Äusseren
nicht erklären kann, ist indes die Anziehungskraft, die trotz all der schlechten Attribute von Barney ausgehen muss. Worin diese genau besteht, müsste man eine seiner drei Ex-Gattinnen fragen, an
die er sich hier in erster Linie erinnert: Nur einige wenige Filmminuten dauert die Ehe mit Clara (Rachelle Lefevre), einer Spinnerin, die er im Rom der Siebzigerjahre kennenlernt, heiratet und
durch Selbstmord alsbald wieder verliert. Schon weit länger haben wir das Vergnügen mit der namenlos bleibenden zweiten «Mrs. P.» (Minnie Driver), einer verzogenen Schickse aus reichem jüdischem
Haus, die Barney noch beim Hochzeitsfest verleidet. Dies deshalb, weil er daselbst schon der zukünftigen dritten Frau Gemahlin begegnet: Miriam (Rosamunde Pike) ist es, derentwegen er türmt und
die er über Jahre jagen wird. Auch sie aber wird er letztlich verlieren – und das wird Barney sogar bis an sein Lebensende bereuen. Von dort aus, seinem Lebensende, wird die über fast vier
Jahrzehnte gespannte Saga erzählt. In der Buchvorlage hat das deshalb seinen besonderen (auch komischen) Reiz, weil der inzwischen mit Alzheimer diagnostizierte Barney als völlig unzuverlässiger
Erzähler auftritt und ständig von seinem armen Sohn korrigiert werden muss. Ein ähnliches Gustostückerl der Erzählkunst konnten oder wollten Regisseur Lewis und sein ebenso kinounerfahrener
Drehbuchautor Michael Konyves in ihrer Version der Version von Barney freilich nicht leisten.
Ein glorioser Joker
Stark vernachlässigt wird gegenüber der Vorlage nicht zuletzt auch die mit einem Pistolenschuss schliessende Beziehung Barneys zu seinem dauerbedrogten Literatenfreund Boogie (Scott Speedman). An
dessen abruptem Ende könnte Barney die Alleinschuld tragen – glaubt zumindest ein ihn über Jahrzehnte verfolgender Bulle (Mark Addy) und glaubt oder befürchtet sogar Barney selbst. Kaum eine
Meinung dazu bildet man sich derweil im Publikum, zumal Lewis und Konyves den Mörderplot – der im Buch die Triebfeder für Barneys Erinnern oder Halb-Erinnern ist – zwischendurch für eine gute
Stunde aussen vor lassen. Weit unproblematischer ist derweil die unlineare Erzählweise; sie führt zu keinerlei Verständnisturbulenzen. Flüssig entwickelt sich die aufgesplitterte Handlung,
wiewohl es bisweilen auch etwas zügiger vorangehen dürfte. Mit seinen 134 Minuten Spieldauer ist der Film jedenfalls gewiss gut bedient für das, was er zu sagen hat. Insgesamt aber ist er weit
untadeliger als der Charakter seiner Hauptfigur. Und mit Dustin Hoffman in der Rolle von Barneys Vater hat er erst noch einen gloriosen Joker.