von Sandro Danilo Spadini
Zuerst nur eine schwarze Leinwand und ein Husten. Doch sogleich wirds zackig und zügig im Medizinthriller «Contagion». Eine fiebrige Montage knallt uns Steven Soderbergh ins Gesicht, betäubende Musik haut er uns um die Ohren: Wie im Rausch
schildert er den Beginn der Katastrophe. Minutiös. Monoton. Messerscharf. Und mitleidlos wie das Virus, um das es hier geht. Die Tage ab dessen Ausbruch nummeriert Soderbergh, und ehe man es sich
versieht, ist man bei Tag 4, und Gwyneth Paltrow geht es schon richtig schlecht: Sie liegt am Boden, Schaum vor dem Mund. Nach ein paar Minuten hat der erste Star schon Feierabend: Paltrow ist
eines der ersten Opfer des Virus, das sie aus Hongkong nach Minneapolis geschleppt hat und das Matt Damon also zum Witwer macht. Schock. Schauder. Schmerz. Schnitt: Ein SBB-Zug rast über die
Leinwand. Tag 5, Stippvisite bei der WHO in Genf, wo Marion Cotillard zur Tat schreitet. Als Nächstes ein Schwenker nach Guangdong. Nach Tokio. Nach Chicago. Nach Atlanta, wo Laurence Fishburne
behördlich koordiniert und Jennifer Ehle forscht. Nach San Francisco, wo Elliott Gould forscht und Blogger Jude Law nicht etwa seine letzte, sondern seine grosse Stunde als
Verschwörungstheoretiker schlagen hört. Und alsdann wieder nach Minneapolis zu Damon und jetzt auch zu Kate Winslet, die hier für das Gesundheitsministerium ihre Zelte aufschlägt. Beinahe überall
auf der Welt sind wir, denn beinahe überall auf der Welt ist auch dieses vermaledeite Virus, das nach zwölf Tagen schon acht Millionen Menschen erreicht hat. Und bald sind auch wir infiziert –
von der Dramatik eines Films, der so gut gemacht ist, dass er Schweissausbrüche auslöst, Angstzustände verursacht, Paranoia verbreitet, ja eine Massenpanik lostreten könnte.
Akribisch und unterhaltend
Soderbergh kehrt hier zum Konzept zurück, das im Drogenthriller «Traffic» dermassen prächtig funktionierte, dass ihm letztlich sogar Herr Oscar höchstpersönlich hold war. Gleiche Ehre dürfte ihm
für «Contagion» nicht widerfahren. Dafür ist der Film dann doch zu mainstreamig – bei aller weitsichtigen Intelligenz des Skripts von Scott Z. Burns («The Informant!»). Und bei aller
realistischen Akribie, mit der Soderbergh operiert. Von allen Seiten, aus allen Blickwinkeln, in allen Lagen beleuchtet er das Geschehen, bis es hell erleuchtet ist mit seinem ganzen nackten
Schrecken. Umfassend und genau will er sein, bezieht sämtliche Akteure mit ein: Zivilisten, Forscher, Presse, Politik, Wirtschaft. Darüber aber vergisst er nie seinen Unterhaltungsauftrag. Wird
es zu abstrakt, kehrt er zwecks Bodenhaftung zum trauernden Matt Damon zurück. Wird es zu hektisch, verweilt er auch mal an einem Ort zum Luftholen. Wird es zu seriös, greift er in die
Hollywood-Trickkiste zum Effekthaschen. Und wird es zu grauselig, zaubert er eine unerwartete Schönheit und Eleganz mitten in das Chaos und den Schmerz.
Offene Fragen
Alles macht Soderbergh hier richtig – so richtig, wie er es meist in den späten Neunzigern und seither kaum mehr je gemacht hat. Und die Thematik ist ohnehin vorzüglich gewählt und aktuell
obendrein eingedenk der noch frischen Erinnerung an die Auswirkungen oder Nicht-Auswirkungen der Schweinegrippe. Einiges Spekulationspotenzial eröffnet sich da, einige Fragen tun sich auf. Das
schreit nach cineastischer Klärung. Schliesslich will man sich in der Pandemiesache nicht ewig auf einen tiefsinnlosen Film wie «Outbreak» stützen, den Grobmotoriker Wolfgang Petersen vor
anderthalb Jahrzehnten auf die Leinwand klatschte. Ein Horrorfilm sei «Contagion», sagt freilich Soderbergh und schraubt damit die Ansprüche gleich selbst runter. Allzu ernst nehmen sollte man
aber auch den Hornbrillenträger nicht: Der redet viel, wenn der Tag lang ist. So wie unlängst, als er verkündete, nun mit dem Filmemachen aufhören zu wollen. Ganz und gar und völlig kategorisch.
So halt, wie er schon recht viele Dinge ganz und gar und völlig kategorisch tun oder lassen wollte. Umgesetzt hat er dann jeweils selten was davon. Insofern also muss man bei ihm nicht immer so
genau hinhören. Genau hinschauen, das indes lohnt sich bei Steven Soderbergh meist sehr wohl.