Es war einmal ein Killer-Mädchen

Regisseur Joe Wright («Atonement») mischt seinem Actionthriller «Hanna» Comic- und Märchenelemente bei – und führt uns an so seltsame wie sehenswerte Orte.

 

von Sandro Danilo Spadini

Elfenhaft schaut sie aus mit ihrer schneeweissen Haut, den silberblonden Haaren und den bergseeblauen Augen. Doch märchenhaft ist nur ihre Erscheinung. Denn fabelhaft ist Hanna (Saoirse Ronan) vor allem in einem: im Töten. Eine regelrechte Killermaschine haben da die CIA und der dieser abtrünnig gewordene Papa (Eric Bana) herangezüchtet. Und trotzdem: Zur Sympathieträgerin taugt Hanna unbedingt – schliesslich wollen fast alle nur das Schlechteste für sie. Ob Regisseur Joe Wright hier auch eine reguläre Serienfigur herangezüchtet hat, wird sich noch weisen müssen. Fix ist freilich schon, dass es nix zu meckern gäbe, träte diese 16-Jährige dereinst in die Fussstapfen Jason Bournes. Ja Bourne, immer wieder Bourne. Er ist zum Richtwert in diesem Genre avanciert – kein Agententhriller mehr ohne den Vergleich mit ihm. Ob zuletzt Angelina Jolies Salt oder nun eben Hanna: Alle scheinen sie heutzutage mit dem ahnungs- und orientierungslosen Tiefkühlkiller das Schicksal zu teilen, einem so geheimen wie gemeinen Regierungsprogramm entschlüpft zu sein.

Kuriose Menschen

Also Punktabzug in Sachen Originalität für «Hanna»? Auf gar keinen Fall! An seltsame und sehenswerte Orte führt uns Wright dank verdienstvoller Production-Designer und Location-Scouts. Verteilt sind sie genregerecht über den halben Globus; entgegen den Gepflogenheiten der Disziplin bleibt Wright auf seiner Tour von Marokko bis Berlin aber auch öfters stehen, wenn er etwas sieht, was ihn interessiert. So nimmt er Tempo und Hektik heraus aus einem Film, der nach zackigem Start ohnehin schon mit einer eher tiefen Schnittzahl auskommt. Wettgemacht wird das Action-Manko andernorts: etwa mit der wirbligen Kamera oder dem muskulösen Techno-Soundtrack der Chemical Brothers, der sich bei den bevorzugt zu Fuss zurückgelegten Verfolgungsjagden ganz prima macht. Die von so prominenter Seite gespendete Musik ist eine von mehreren Spezialzutaten hier. Eine weitere ist die feine und edle Prise Skurrilität. Und eine geradezu herbe Note steuert das Personal bei. Denn nicht nur an seltsame Orte führt uns Wright; er stellt uns dort auch kuriosen Menschen vor. Menschen wie CIA-Fiesling Marissa Wiegler (Cate Blanchett) und ihrer Entourage mit einem blondierten Vollpsycho (Tom Hollander) und zwei Skinhead-Schergen (darunter der Schweizer Joel Basman). Aber auch sonnigeren Gemütern wie der tussigen Hippie-Teenietochter Sophie (Jessica Barden) oder einem deutschen Zauberonkel («Tatort»-Kommissar Martin Wuttke). Comic- oder Märchenfiguren sind das. Und allesamt sind sie lustvoll verkörpert.

Sehr gut aussehend

Ganz besonders gilt das für die hoch begabte und von Wright schon in «Atonement» bis zur Oscar-Nominierung geförderte Saoirse Ronan: Mit 16 an der Seite der göttlichen Cate Blanchett zu bestehen und nicht in deren langem Schatten zu verschwinden, das ist allerhand. Und eine Figur wie Hanna mit zu erschaffen ebenso. Staunendes Kind und abgebrühte Frau ist diese und bisweilen sogar ein fast normaler Teenager. Grossgezogen wurde sie im finnischen Wald von ihrem Vater, der wirkt wie ein altertümlicher Krieger, aber eben bloss ein alter Kalter Krieger ist. Seine Erziehung und das Aufwachsen in der Abgeschiedenheit haben bewirkt, dass Hanna vor einem Killerkommando keinerlei Angst hat, vor simpelsten Errungenschaften der Zivilisation wie Wasserkochern aber sehr wohl. Warum überhaupt ein Killerkommando hinter ihr her ist, bleibt freilich mehr als einen Moment lang ein Geheimnis. Und auch nachdem es gelüftet ist, verschiebt sich das Hauptaugenmerk nicht hin zur Handlung. Dabei hat das Drehbuch durchaus was für sich: Klassische Actionfilm-Elemente paaren sich hier ziemlich elegant mit Versatzstücken aus Grimms Märchen. Visualisiert wird das mit einer Ästhetik aus Zeiten des Kalten Kriegs – Bourne lässt abermals grüssen. Ein wenig dauert es zwar, bis das englische Regietalent Joe Wright sich bei seinem Viertling in den für ihn völlig neuen Gefilden zurechtfindet. Doch sobald er die finnische Kälte verlassen hat, wird der «Pride & Prejudice»-Regisseur warm – und zaubert letztlich einen äusserst gut aussehenden und sehr speziellen Film auf die Leinwand.