von Sandro Danilo Spadini
Moderne Zeiten sind es in der Zukunftsgesellschaft von «In Time». Und harte Zeiten für die grosse Mehrheit. Dabei läge doch das ultimative Versprechen über diesem Utopia: jenes vom ewigen
Leben. Aus Gründen und mit Mitteln, die vage bleiben, hat man die Menschen nämlich genetisch so verändert, dass sie mit 25 aufhören zu altern und also stets jung und frisch bleiben. Mit dem
Vollmachen der Vierteldekade endet freilich auch der Fun: Nun beginnt die Uhr zu ticken, und es bleibt einem ein zerrinnendes Lebensjahr, einen neuen Vorrat an Sekunden, Minuten, Stunden und
optimal an Jahren, Jahrzehnten, Jahrhunderten anzuhäufen – für eine potenziell unendliche Zukunft. Idealerweise tut man das mit Arbeit oder Handel, denn Zeit ist Geld, Zeit ist das neue Geld,
Zeit hat Geld als Währung abgelöst. Und weil Zeit hier Leben ist, haben es viele stets sehr eilig. Um die Menschen auf dem Laufenden zu halten, wurde ihnen eine Art digitale Armbanduhr mit 13
Stellen und Kreditkarten-Funktion eingepflanzt. Stehen dort lauter Nullen, fällt man tot um.
Darwins Kapitalismus
Ewiges Leben ist somit nur den Reichen verheissen. Wer hingegen nichts hat, verliert in dieser Gesellschaft der nahen Zukunft sein Recht zu leben. Und arm sind in der sozial höchst ungleichen
Stadt von «In Time» ziemlich viele. Sie leben im Getto der «Zeitzone 12», die wie alle anderen Zeitzonen mit Grenzposten gesichert ist – damit man sich in den begüterten Bezirken nicht am Anblick
von Armut stören muss. Von Menschen wie Will Salas (Justin Timberlake), einem 28-jährigen Fabrikarbeiter, der selten mehr als einen Tag auf dem Arm hat. Will lebt mit seiner Mutter (Olivia
Wilde), hat einen Suffkopf als Kumpel (Johnny Galecki) und im Prinzip erst dann richtig Pep im Leben, als er Henry Hamilton (Matt Bomer) begegnet. Dieser 105-Jährige ist jahrhundertreich, aber
lebensmüde, und bevor er sich in den Tod stürzt, überträgt er Will sein Guthaben. Der hat jetzt zwar alle Zeit der Welt; weil solches aber suspekt ist, hat er bald auch die «Zeitwächter» an der
Backe. Allen voran Veteran Leon (Cillian Murphy) jagt ihn unerbittlich – bis in die Zeitzone 1, wohin ein rachedurstiger Will nach dem Tod seiner Mutter flüchtet. Und wo er auf die aus
ultrareichem Haus kommende Sylvia (Amanda Seyfried) trifft. Mit ihr, die er zunächst entführt, wird er im Bonnie-&-Clyde-Stil die Gesellschaft aufmischen und so einen Mehrfrontenkampf
anzetteln, der eigentlich nicht zu gewinnen ist. Denn nebst Leon, einem Gangsterboss (Alex Pettyfer) und Sylvias Vater (Vincent Kartheiser) hat er nun auch noch den mächtigsten aller Gegner: den
Markt oder, wie es einmal heisst, Darwins Kapitalismus.
Justin just in time
Hoch geht es also her hier, doch erst mal ist man überrascht, zu erfahren, dass es sich bei «In Time» ausnahmsweise nicht um eine Philip-K.-Dick-Verfilmung handelt. Ein Spezialist für
Fiktional-Wissenschaftliches steckt indes sehr wohl dahinter: der neuseeländische Autor und Regisseur Andrew Niccol, dem besonders an der nahen Zukunft gelegen ist. Niccol war es, der Ende
Neunziger in «Gattaca» eine futuristische Eugeniker-Gesellschaft inszenierte und das Skript zu «The Truman Show» schrieb. In «S1m0ne» erzählte er dann von einer computergenerierten Aktrice,
worauf er zuletzt in «Lord of War» mal ohne Science-Fiction auskam. Jetzt kehrt Niccol zu den Anfängen und «Gattaca» zurück: nicht nur mit der Gesellschaftskritik, sondern auch mit der
hyperstilisierten strengen Hochglanz-Ästhetik und ihren kalt-dunklen Farben, den glänzenden Oberflächen und den vielen schönen Dingen gerade im Fahrzeug- und Bekleidungsbereich. Augenfutter sind
auch all die hübschen Menschen, die diese U25-Welt bewohnen. Freilich haben nicht alle die schauspielerische Substanz des wiedervereinten Quartetts aus dem Jugenddrama «Alpha Dog»: Vincent
Kartheiser, Olivia Wilde, Amanda Seyfried und der unterforderte Justin Timberlake, in dessen Augen stets etwas Traurig-Endzeitliches liegt. Wie überhaupt über dem Film. Denn Niccol ist es ernst
hier; mit noblen Absichten begnügt er sich nicht. Vielmehr vertritt er seine Kapitalismuskritik so vehement und versiert, dass man resümieren darf: «In Time» kommt genau zur richtigen Zeit – just
in time.