Fantastisch und ungeheuerlich ist das Kleinstadtleben

Knisterndes Popcorn-Kino: J.J. Abrams entwirft in «Super 8» eine Filmlandschaft aus dem Bilderbuch und huldigt den frühen Fantastereien von Steven Spielberg.

 

von Sandro Danilo Spadini

Der Vergleich würde kommen. Das wird TV-Zampano J.J. Abrams («Alias», «Lost») bewusst gewesen sein, als er sich mit «Super 8» wieder mal etwas fürs Kino ausdachte. Was für eine bestechende Idee also, das überlebensgrosse Vorbild gleich als Produzent mit ins Boot zu holen! Damit aber ist «Super 8» nun tatsächlich (auch) ein Steven-Spielberg-Film – und nicht nur eine inhaltliche wie formale Anlehnung an «Close Encounters of the Third Kind» oder «E.T.». An ebendiese unschuldig magischen Kinoorte fühlt man sich noch vor dem Einsetzen jeglicher Fantasterei unweigerlich zurückversetzt, wenn Abrams vor unseren Augen eine Filmlandschaft aus dem Bilderbuch entwirft: eine 12‘000-Seelen-Gemeinde in Ohio, bevölkert von arbeitsamen Bürgern und aufrechten Gendarmen, halbstarken Lümmeln in Ami-Schlitten und naseweisen Jünglingen auf BMX-Rädern. Hier ist die Welt noch in Ordnung – bis zu jener spektakulär inszenierten Zugentgleisung jedenfalls, die eine Gruppe von Teenagern hautnah miterlebt und mit der Super-8-Kamera festhält.

Liebeserklärung ans Kino

Es ist freilich nicht bloss die Örtlichkeit des bald mysteriösen Geschehens, die nostalgisch stimmt. Es ist natürlich auch die Zeit. Das Jahr 1979 schreibt Abrams in seiner dritten Kino-Regiearbeit. Und es ist klar, dass er uns hier auf eine Reise auch in die eigene Vergangenheit mitnehmen möchte: 13-jährig war Abrams 1979 – in etwa gleich alt also wie die filmbegeisterten Helden von «Super 8» um Halbwaise Joe (Joel Courtney), die allseits umgarnte Alice (Elle Fanning) und Jungregisseur Charles (Riley Griffiths). Und auch mit 45 Jahren anno 2011 ist die grosse Blockbuster-Hoffnung Hollywoods noch ein halbes Kind. Entsprechend enthusiastisch gestaltet sich seine Liebeserklärung speziell an die frühen Spielberg-Filme und generell an das Kino seiner Jugendzeit mit «The Goonies», «Stand by Me» oder «Back to the Future» – an ein Kino, in dem das Filmemachen noch vornehmlich in den fähigen Händen von Menschen statt in der Kapazität von Rechnern lag. Nicht dass beim Regisseur von «Mission: Impossible 3» und «Star Trek» alles handgemacht wäre; der Computer läuft sehr wohl stets zumindest auf Stand-by. Doch anders als mancher Sommerhit-Regisseur walzt Abrams sein Publikum nicht platt mit Tricktechnik und Knalleffekten. Vielmehr nimmt er sich die Zeit und erzählt eine handfeste Geschichte um unglaubliche Beobachtungen und ungeheuerliche Begebenheiten, Vertuschung und Verschwörung, Familie und Freundschaft, erste Liebeleien und zweite Chancen. Das Versprechen von Fantastischem liegt dabei von Beginn weg in der lauen Sommerluft. Bis es zur Begegnung der dritten Art kommt, dauert es aber halt einen Moment: Erst möchte Abrams uns mit dem Personal und den Gepflogenheiten vor Ort vertraut machen. Derart auf die Folter gespannt, funkeln unsere Augen indes bald so erwartungsfroh wie die der Teenager-Helden, in denen die Vorfreude auf all die grossartigen Dinge des bald beginnenden Lebens glüht.

Etwas sehr Fremdes

Das freudige Augenfunkeln wird ein erstes Mal weichen bei der angesprochenen Zugkatastrophe. Es wird bisweilen erstarren, wenn die sogleich einfahrenden Militärs mit der ihnen eigenen arrogant-aggressiven Autorität die Ordnung wiederherstellen wollen. Und es wird gänzlich verschwinden, wenn sich kurz vor Halbzeit die seltsamen Ereignisse allmählich häufen und offenbar wird, dass etwas sehr Fremdes dafür verantwortlich ist (und nicht etwa die Sowjets, wie Abrams in einer der vielen schalkhaften Szenen eine konservative Furie spekulieren lässt). Wie in dem von ihm produzierten Schocker «Cloverfield» setzt Abrams dabei zunächst auf die verstörende Macht des nicht Gezeigten, des bloss Angedeuteten – eine Lektion, die Steven Spielberg in «Jaws» mit dem lange nur fühlbaren Hai einst erteilt hat. Im Finale freilich lässt er die Zurückhaltung dann fallen, was nicht ideal ist. Überhaupt löst der Film das Versprechen der ersten halben Stunde nicht hundert-, immerhin aber doch rund achtzigprozentig ein. Für Klassikerstatus mag das wohl nicht ganz reichen, für einen ausnehmend unterhaltsamen Kinoabend aber allemal.