von Sandro Danilo Spadini
Ob das Historiendrama «The King’s Speech» am
Sonntag in einer Woche tatsächlich die Oscar-Krone aufgesetzt bekommt, muss einstweilen spekulativ bleiben. Schon jetzt so gut wie klar ist derweil, dass sein Hauptdarsteller Colin Firth dann zum
Schauspielerkönig ernannt wird. Konkurrenzlos auf weiter Flur befindet sich der 51-jährige Engländer mit seiner Kampagne. Und verdient hat sich der lange als etwas steifer Schwiegermutter-Schwarm
verschriene Beau den Goldmann schon deshalb, weil er im Vorjahr trotz Ausnahmeleistung in Tom Fords «A Single Man» leer ausging. Der Hauptgrund für Firths bevorstehende Krönung ist freilich weder
Konkurrenzmangel noch Wiedergutmachung; er liegt schlicht, wie es sein sollte, in einer mimischen Meisterleistung. Als stotternder König George VI. von England spielt sich Firth endgültig aus dem
Schatten seiner beiden Paraderollen: jener des Mr. Darcy in der legendären TV-Adaption von Jane Austens «Pride and Prejudice» und jener des an ebendiese Figur angelehnten Mark Darcy in den
«Bridget Jones»-Filmen.
Royale Buddy-Geschichte
Firth setzt wohlgemerkt nicht das einzige Glanzlicht in dieser recht gut gelaunt daherkommenden Produktion. Brillieren können auch die Co-Stars Helen Bonham Carter als «Queen Mum» und Geoffrey
Rush als Sprachtrainer – und sowieso Regisseur Tom Hooper. Der zuvor vornehmlich im britischen Fernsehen aktive Londoner erzählt hier federleicht quasi eine Buddy-Geschichte im Monarchen-Milieu;
und wie bei seinem letztjährigen Kinodurchbruch mit dem grandiosen Fussballfilm «The Damned United» oder seinem Beitrag zur Helen-Mirren-Krimiserie «Prime Suspect» offenbart er einen Sinn fürs
optisch Gefällige und hübsch Gerahmte. Die historische Szenerie kommt einem Schönfilmer wie ihm dabei natürlich durchaus zupass: Der Hauptteil spielt Mitte der Dreissigerjahre; König George V.
(Michael Gambon) liegt in den letzten Zügen; Prinz Edward (Guy Pearce) steht als Thronfolger in den Startlöchern; in Europa spitzt sich die politische Lage zu; Grossbritannien stehen schwere
Zeiten bevor. George VI. ist da noch Prinz Albert respektive «Bertie» – ein kränklicher und ziemlich aufbrausender Monarch mittleren Alters, der bei seinen raren öffentlichen Auftritten durch
sein Stottern arg ins Hintertreffen gerät. Gleichwohl mehren sich Stimmen wie jene Winston Churchills (Timothy Spall), die in ihm, dem Vater von Königin Elizabeth II., den tauglicheren
Thronfolger sehen. Der Hauptfokus von Bertie (oder wenigstens seiner Filmversion) gilt bei all diesen politischen und royalen Verwerfungen indes etwas Privatem: dem Überwinden des Sprachfehlers,
auf dass er sich nach dem Tod seines Vaters und der baldigen Abdankung seines Bruders bei der titelgebenden Radioansprache zur Kriegserklärung an Deutschland auch majestätisch zu präsentieren
vermag.
Ganz klassisch
Gedrängt von seiner treusorglichen Gemahlin, hat Albert schon Jahre zuvor Hilfe gesucht – und ist endlich beim gewitzten australischen Sprachtrainer Lionel Logue gelandet, einem gescheiterten
Schauspieler. Nebst ausgiebigen Therapiesitzungen und den unvermeidlichen Klassenkonflikt-Scharmützeln steht stets die Schilderung des sich wandelnden Verhältnisses der beiden Männer im
Filmzentrum: von der anfänglichen Ablehnung über das schleppende Überwinden derselben und der allmählichen Annäherung bis hin zum Entwickeln einer tiefen Freundschaft. Das ist zwar ganz klassisch
und oft zuckersüss, letztlich aber weit erquicklicher, als es sich anhören mag: ein mit kleinem Geld und ohne Pomp gefertigter Film, der von Herzen kommt, seine Zeit fein beobachtet und gut
ausbalanciert ist zwischen persönlichem und politischem Drama. Einen so profunden Einblick in die Gepflogenheiten des britischen Königshauses wie einst «The Queen» vermag er freilich nicht zu
gewähren, historisch ist er unvollständig, satirisch zahm, psychologisch trivial. Insofern erscheinen die zwölf Oscar-Nominierungen und erst recht die Favoritenrolle in der Hauptkategorie am Ende
doch weit weniger zwingend als der bereits gebuchte Triumph von Colin Firth.