Manege frei für die grössten Gefühle der Welt

Dass sich die im Zirkusmilieu der Dreissiger angesiedelte Romanze «Water for Elephants» von der Masse abhebt, liegt mehr am Österreicher Christoph Waltz als an Teenie-Schwarm Robert Pattinson.

 

von Sandro Danilo Spadini

Die Ouvertüre der Bestseller-Verfilmung «Water for Elephants» weckt nicht gerade die höchsten Erwartungen, was den Originalitätsgehalt des Kommenden angeht. Dargeboten wird hier nämlich die doch sehr klassische «Titanic»-Eröffnung: Ein sympathischer Senior (Hal Holbrook) schwelgt schwärmerisch schwadronierend in Erinnerungen an die tendenziell grösste Liebe aller Zeiten; und ein aufmerksam lauschender Jungspund (Paul Schneider) animiert ihn noch dazu, die ganze Romanze en détail aufzurollen. Und weil sich der Alte da natürlich nicht zweimal bitten lässt, finden wir uns flugs inmitten einer grossen Euphorie während der Grossen Depression wieder. Verflogen sind die berechtigten Bedenken bezüglich Originalität da zwar noch nicht; doch sind bereits erste Indizien und Ingredienzien auszumachen, die darauf hoffen lassen, die Adaption des im Jahr 1931 spielenden Romans der Kanadierin Sara Gruen möge sich von der Masse abheben.

Elefantendame und Schweinhund

Für Spannung sorgen jedenfalls die Namen der drei nun die Bühne betretenden Hauptcharaktere. Unter besonderer Beobachtung steht dabei allen voran der britische Teenie-Schwarm Robert Pattinson aus den «Twilight»-Filmen. Der 24-Jährige gibt hier nach dem Drama «Remember Me» seine zweite Talentprobe als Nicht-Vampir ab. Und wie beim ersten Mal agiert er auch in der Rolle des Tierarztes Jacob Jankowski, der Jungversion unseres Seniors, weder allzu enttäuschend noch übermässig gewinnend. «Gepaart» wird Pattinson mit dem All-American Girl Reese Witherspoon, was nicht nur wegen des stattlichen Altersunterschieds von zehn Jahren recht ungünstig ist. Witherspoon mag eine dumpfbackige Jurastudentin («Legally Blonde») sein, mag eine verzweifelt Kämpfende («Rendition») sein, mag definitiv June Carter («Walk the Line») sein; was sie jedoch eher nicht ist: ein verwundetes Zirkus-Frauenzimmer aus den Dreissigerjahren. Reese Witherspoon tut sich also schwer als Marlena, in die sich der vom Unfalltod seiner Eltern erschütterte Jacob verliebt, nachdem er kurzerhand auf den Circus-Benzini-Zug aufgesprungen ist. Schwer tut sich aber auch das Paar in spe, denn wie für eine Liebesgeschichte von solch voluminöser Gefühlsproportion unabdingbar, ist der Weg zum Glück nicht frei von Hindernissen. Deren grösstes ist freilich nicht etwa Elefantendame Rosie, die sich ganz im Gegenteil sogar als äusserst dienlich beim Schmieden der Liebesunion erweist. Es ist dies vielmehr wieder klassischerweise und in «Titanic»-Tradition ein waschechter Schweinehund von einem Ehegatten. August Rosenbluth heisst dieser, ist Direktor des Benzini Brothers Circus, eifersüchtiger Grobian, menschenverachtender Tyrann, passionierter Tierquäler – und, gespielt vom österreichischen Oscar-Gewinner Christoph Waltz («Inglourious Basterds»), düsterstes Element und gewichtigste Substanz, heimlicher Star und hellster Stern des Films.

Eine Prise hier, ein Hauch da

Waltz‘ überragender Vorstellung, aber auch seiner unerwartet kantig gezeichneten Figur an sich ist es primär geschuldet, dass man nicht vergebens auf die erhoffte Prise Originalität wartet – und dank dem zeitlich wie örtlich schön herausgearbeiteten, vor Pomp und Pathos bebenden Dreissigerjahre-Zirkus-Set weht bisweilen sogar ein Hauch Magie durch die Manege. Ziemlich einfach gestrickt ist demgegenüber die Liebesgeschichte. Doch weder das noch Klischeereichtum und Plausibilitätsarmut sind wesentlich mehr als Mini-Malheurs in einer erquickend altmodischen Melodrama-Show, der Regisseur Francis Lawrence und Drehbuchautor Richard LaGravenese öfters mal einen gerade gut zu gebrauchenden Gag unterjubeln. Der in Liebesdingen erfahrene LaGravenese («The Bridges of Madison County») und der mehr im Actionhaltigen bewanderte Lawrence («Constantine») geben ohnehin eine taugliche Kombination ab. Was sie hier mit ihren ausgleichend wirkenden Kräften vereint fabriziert haben, ist glänzender, glitschiger, glitzernder und gravierender, grandioser, grösser als das Leben – kurzum: Es ist (milieugerechtes) Romanzenkino alter Schule, wie man es kaum mehr zu sehen bekommt.