von Sandro Danilo Spadini
Tagsüber sind sie Frisösen, Kellnerinnen oder Büroangestellte und leben das friedfertige Leben von Durchschnittsamerikanerinnen. Doch geht die Sonne unter, werden sie zu tollwütigen Hyänen. Nun
tragen sie Namen wie Maggie Mayhem, Smashley Simpson oder Iron Maven, und nun fahren sie die Ellbogen aus: Willkommen in der Welt der blutigen Nasen und der geschürften Knie, der zotigen
Tätowierungen und der zerschlissenen Fischnetzstrümpfe, der johlenden Meute und der heulenden Gitarren. Willkommen beim Roller Derby.
In verruchter Arena
Eingeladen auf den Trip in die punkige Subkultur dieses Vollkontaktsports hat Drew Barrymore, und der Anlass ist ein freudiger: Es ist ihr Regiedebüt. Und was für ein Debüt es ist! Erzählt werden
in «Whip It» die Erfahrungen der einstigen
Roller-Derby-Athletin und heutigen (Drehbuch-)Autorin Shauna Cross, geschildert aus der Sicht der 17-jährigen Bliss (Ellen Page). Bliss ist gefangen in «einer Achselhöhle von einer Stadt» im
texanischen Mief und erstickt an den auf sie projizierten Ambitionen ihrer Mutter (Marcia Gay Harden). Seit je wird sie an Schönheitswettbewerbe gezerrt, wo noch der irritierende Geist von Mamas
«Frauenbild aus den Fünfzigern» weht. Kein Wunder, leidet da jemand schwer an Teenager-Weltschmerz. Und schon gar kein Wunder, muss da jemand dringend ausbrechen. Die Heftigkeit dessen ist
freilich achtbar: Vom hinterwäldlerischen Kaff Bodeen gehts per Bus der örtlichen Bingo-Gemeinschaft in die weltoffene Hauptstadt Austin, vom verlogenen Scheinhimmel des Miss-Wahl-Saals per
Barbie-verzierte Rollschuhe in die verruchte Spasshölle der Roller-Derby-Arena. Und aus Bliss wird Babe Ruthless. Wie wohl für viele im Publikum und unsportliche Cineasten, die nicht vertraut
sind mit dem Raquel-Welch-Vehikel «Kansas City Bomber» (1972), ist das auch für sie alles neu: diese heute bevorzugt von Frauen und auch hierzulande betriebene Disziplin, die seit ihrer Blütezeit
in den Siebzigern mehr dem Sport-Entertainment à la Wrestling zuzurechnen ist. Showeinlagen und Kostüme sind hier mithin so wichtig wie die Punktzahl; statt Taktik-Nachhilfe erhält Bliss denn
auch eher Ratschläge wie: «Du kannst nie zu viel Eyeliner drauf haben.» Doch so anarchisch das bisweilen blutige und zumeist ohne Doubles bestrittene Geschehen auch anmutet: Es gibt hier sehr
wohl Regeln, und diese werden Bliss und uns auch erklärt. Dies indes in aller Kürze. Denn wichtiger als der Sport ist Barrymore der verschworene Freigeister-Haufen, dem nebst Page, Kristen Wiig,
der für solcherlei prädestinierten Wildsau Juliette Lewis und realen Roller Girls auch sie selbst angehört.
Aus Liebe zu den Figuren
In sehr vielem erinnert «Whip It» an «Juno»: an jenen Film also, der der auch hier gloriosen Hauptdarstellerin Ellen Page den Durchbruch brachte. Zwar ist der Humor nicht ganz so dominant und
sind die Dialoge nicht halb so gewitzt; gemein haben die beiden Rotzstreifen aber eine geradezu liebevolle Beziehungen zu ihren schrulligen Figuren. Besonders für die gegenüber Juno weit weniger
rebellische Heldin interessiert sich die Regie aufrichtig – keinesfalls benutzt Barrymore sie, um auf ihrem Buckel die Roller-Derby-Party zu feiern. Vielmehr benutzt sie wie so viele vor ihr
umgekehrt den Sport, um die Hymne auf Willenskraft und Charakterfestigkeit zu summen. Und sie tut das, indem sie sämtliche Register des klassischen Sportfilms zieht –es gibt hier also eine mit
Musik untermalte Trainingsmontage, einen von markigen Trainersprüchen begleiteten Abhärtungsprozess und den von Last-Minute-Widrigkeiten gestörten Countdown zum Grande Finale. Daneben ist das
eine geradeso klassische Coming-of-Age-Geschichte inklusive Konfrontation mit den Eltern, auf die Probe gestellter Freundschaft und – um ganz sicherzugehen – einer unschuldigen Liebelei. Das
alles weckt Erinnerungen an die Achtziger und ist anders als das Tun auf der Derby-Bahn stets jugendfrei: kein Sex, keine Drogen, kein Fluchen. Dass «Whip It» trotzdem nie soft und brav wirkt,
ist der rockigen Schnoddrigkeit von Damen wie Shauna Cross, Ellen Page und Drew Barrymore geschuldet. Und natürlich Maggie Mayhem, Smashley Simpson und Iron Maven.