von Sandro Danilo Spadini
Das Ende ist nah. Zumindest im Kino. Denn dort ist die Welt derzeit vermehrt dem Untergang geweiht. In Lars von Triers «Melancholia». In Jeff Nichols’ «Take Shelter». In Abel Ferraras «4:44 Last
Day on Earth». Bald in der Komödie «Seeking a Friend for the End of the World». Und wenn nicht physisch, so doch moralisch auch in «Cosmopolis», David Cronenbergs Adaption der Kapitalismusabrechnung von Don DeLillo. Die Orientierungslosigkeit.
Die Gleichgültigkeit. Die Resignation. Die Dekadenz: In der kugelsicheren und schallisolierten weissen Stretchlimousine von Eric Packer ist der Bankrott der Werte greifbar. «Twilight»-Vampir
Robert Pattinson spielt diesen Blutsauger von der Wall Street als einen Multimilliardär ohne erkennbaren Lebensantrieb: quasi als den sedierten kleinen Bruder von Patrick Bateman aus dem
80er-Jahre-Kapitalismusabgesang «American Psycho». Und er macht das mimisch minimalistisch, so wie es dieser Figur geziemt. Denn Eric Packer ist mit seinen 28 Jahren innerlich längst tot. Taub
und tumb. Und jetzt steuert er zielstrebig auf seine eigene Auslöschung hin.
Wie im Theater
Da sitzt dieser Fleisch und Designeranzug gewordene Kapitalismus nun also im Fond seiner hermetisch abgeriegelten Limousine und möchte für einen Haarschnitt ans andere Ende der Stadt kutschiert
werden. Während draussen die Hölle los ist. Der Präsident zu Besuch erwartet wird. Ein globalisierungskritischer Mob die Anarchie probt. Eine Prozession für einen toten Rapper abgehalten wird.
Und während sein gesamtes Vermögen zerrinnt wegen einer einzigen irrigen Wette gegen den chinesischen Yuan. Dass dem moralischen Bankrott der monetäre folgt, ist Eric Packer aber offenkundig
egal. Ebenso, wen er da alles mit in den Abgrund reissen wird. Er will jetzt einfach seinen Haarschnitt («Haircut» bedeutet im Wirtschaftsjargon freilich auch Schuldenschnitt). Und so drückt er
unbeeindruckt von allem seinen eigenen Pause-Knopf in diesem nur im Schritttempo vorankommenden Luxusgefährt mit allen Schikanen. Und hält Hof. Streitet mit dem IT-Berater. Scherzt mit dem
Finanz-Wunderkind. Flirtet mit der Analystin. Lauscht der Firmenphilosophin. Trauert mit einem Hip-Hopper. Lässt sich seine Prostata untersuchen. Hat Sex mit Juliette Binoche. Kriegt eine Torte
ins Gesicht. Ignoriert die Warnungen seines Leibwächters vor einer «ernsthaften Bedrohung». Hat auch noch Sex mit dessen Assistentin. Isst dreimal mit seiner geradeso reichen Gemahlin. Und lässt
sich schliesslich stoisch von ihr verlassen. Das alles passiert, als ob es ein Theater wäre: auf engstem Raum und mit niedriger Geräuschkulisse. Und wie auf der Bühne rezitieren die Darsteller
zunächst auch ihre Dialogzeilen. Das gibt diesem zutiefst merkwürdigen Film etwas Entrücktes. Etwas Unreales. Etwas Eiskaltes und Horrorhaftes auch. Weshalb sich das Sprechen später
«normalisiert», bleibt ein Rätsel. Vielleicht wäre es auf die Dauer einfach zu anstrengend geworden.
Sprachgewandt und spröde
Anstrengend ist Cronenbergs «Cosmopolis» aber auch so: ein hartes Stück Arbeit sogar bei all den Maschinengewehrsprechern und Metapherndreschern, die sich auf dieser Odyssee die Autotürklinke in
die Hand geben. Aber logisch, wollte sich der kanadische Regieexzentriker nicht um die noch meistgepriesene Qualität der mitunter harsch kritisierten Vorlage bringen: DeLillos Sprachkunst. Ebenso
logisch indes, ist das ermüdend. Doch da geht es einem dann für einmal gleich wie der Anti-Identifikationsfigur Eric. Auch er ist am Ende müde von einem Tag mit «Dingen und Menschen». Es sei
jetzt Zeit für ein bisschen Reflexion. Viel anderes hat der Film freilich schon vorher nicht gemacht – und ist trotz seines so sturmumtossten, so relevanten, so weltumwälzenden Umfelds kaum zu
Erkenntnisgewinn gelangt. Letztlich war das alles ein bisschen leblos und blutleer. Doch es war auch verdammt wahnwitzig und wahnsinnig vereinnahmend. Gerade weil es so leblos und blutleer war
vielleicht. Es war jedenfalls im Sinne der Sache. Und zu diesen Krisenzeiten passt es auch. Denn das Ende ist ja nah.