von Sandro Danilo Spadini
Warum er denn so langsam spreche, möchte Ned (Paul Rudd) von seinem Bewährungshelfer wissen. Nun, er habe seine Akte gelesen und gedacht: «Da Sie einem uniformierten Polizisten Grass verkauft
haben, müssen Sie zurückgeblieben sein.» Worauf Ned mit dem ehrlichsten Lächeln der Welt findet: «Ja, das höre ich oft.» Und das ist dann wieder so typisch für diesen haarigen Hippie im unfeinen
Gewand. Wie übel ihm das Leben auch mitspielt und wie schroff ihm die Leute auch begegnen: Ein böses Wort kommt ihm nicht über die Lippen. Und Leben und Leute sind ihm öfters nicht allzu
wohlgesinnt. Denn steht da ein Fettnäpfchen: Ned tritt hinein. Liegt da eine Bananenschale: Ned rutscht auf ihr aus. Liegt da ein Stolperstein: Ned stürzt über ihn. Und steht da ein Lügengebilde:
Ned bringt es zum Einsturz. Gerade solche Bauten prägen nun aber das Dasein seiner drei Schwestern. Ja sie bilden quasi die Skyline ihrer Welt, durch die der just vom Biobauernhof gejagte Ned
jetzt zwar nicht mit dem Tempo, sehr wohl aber der Verwüstungskraft eines Tornados fegt.
Chaoten sind sie alle
Diese Welt von Neds Schwestern ist eine urbane und künstlerische, sind Manhattan und Brooklyn. Dort haben sie gelernt, nervös und zynisch zu sein und so ganz anders als die herzensliebe Mama
daheim im schönen Long Island. Am ausgeprägtesten ist das bei Miranda (Elizabeth Banks), der karriereorientierten «Vanity Fair»-Journalistin mit beschädigtem moralischem Kompass. Verirrt ist aber
auch Natalie (Zooey Deschanel), die erfolglose Stand-up-Komödiantin mit vielfältigen sexuellen Steckenpferden. Und schon fast verloren scheint Liz (Emily Mortimer), die zweifache Mutter mit dem
heuchlerischen Dokumentarfilmer zum Gatten (Steve Coogan). Im Endeffekt sind diese drei Damen um die dreissig halt grad so grosse Chaotinnen wie Ned. Aber mit seiner an Infantilität grenzenden
Naivität verschärft dieser Bruder Leichtfuss die diversen Krisen natürlich noch – wobei wir ahnen, dass am Ende aus den Ruinen der eingestürzten Lügengebilde äusserst Erfreuliches spriessen wird.
Bis es aber so weit ist, wird Ned von einer Schwester zur nächsten weitergereicht. Alle versuchen, ihn irgendwie zu beschäftigen und sich so aus der Schusslinie zu bringen. Doch selbst bei den
simpelsten Arbeiten und Aufträgen richtet Ned Unheil an. Das wenigstens in den Augen von Miranda, Natalie und Liz. Aber die haben dort ja sowieso Tomaten drauf.
Eine Familienangelegenheit
Auch wenn der Ansatz von Jesse Peretz‘ «Our Idiot
Brother» ein eindeutig komödiantischer ist: Was hier aufs Tapet kommt, sind echte Probleme aus dem richtigen Leben. Und Lachsalven mag dieser durch und durch sympathische Film ohnehin nicht
provozieren. So wenig, wie er Tränenstürze auslösen will. Denn wenn die Ode an die Familie angestimmt wird, dann geschieht das ohne die alles übertönenden Geigen, die Hollywood bei solchen
Anlässen so gerne zückt. Umso besser hörbar ist der Lobgesang hier dafür, umso natürlicher sein Klang. Jede Note trifft das Drehbuch dennoch nicht. Geschrieben haben dieses Peretz‘ Schwester
Evgenia und deren Mann David Schisgall, und es ist voller nicht eingelöster Versprechungen und nicht ausgeschöpfter Möglichkeiten. Mit einem eben doch ein bisschen lachenden und einem sicher ein
wenig weinenden Auge wirft man einen Blick zurück auf die abgelaufenen 90 Minuten und denkt sich: Das hätte nicht nur ein guter, sondern ein grossartiger Film sein können. Und einer, der nicht
ganz so oft im Schatten von Verwandten wie «Smart People» oder «You Can Count on Me» hätte zu stehen brauchen. Schlimm ist das aber nicht, gewiss nicht. Schliesslich hat diese Tragikomödie von
Erwachsenen für Erwachsene genug, was für sie spricht. Allem voran die herrlich unvollkommenen Figuren und all diesen voran selbstredend Ned, den uns Peretz‘ Kumpel und Nachbar Paul Rudd tief ins
Herz spielt. Diesem Tunichtgut, der halt doch so viel Gutes tut, verzeiht man einfach alles. Und am Ende ist dann auch sonnenklar, dass er kein Idiot, sondern ein Idealist ist.