von Sandro Danilo Spadini
Wie die Kamera im Regen schnurgerade durch die Allee gleitet, das ist in seinem ominösen Gestus Polanski pur. Und wenn sie dann nach rechts in ein kleines Pariser Theater abbiegt und die nächsten
90 Minuten dort verweilt, unterläuft das zwar die gerade geweckte Erwartung – es ist aber ebenfalls ein typisches Arrangement für den 80-Jährigen. Denn das Klaustrophobisch-Kammerspielhafte ist
seit je auch seine Sache – vom Erstling «Knife in the Water» über «The Tenant» und «Death and the Maiden» bis zu seinem letzten Film «Carnage». Wie dort hat Polanski nun auch mit «La Vénus à la fourrure» ein Broadway-Stück adaptiert;
David Ives’ «Venus in Fur», das seinerseits eine Art Adaption von Leopold von Sacher-Masochs «Venus im Pelz» ist, hat er aber ins Französische übersetzt und zusammen mit Ives von einem Probenraum
auf eine Theaterbühne gehievt. Auf dieser ist nun Regisseur Thomas Novachek (Mathieu Amalric) dem Verzagen nah, weil für seine «Venus im Pelz»-Bearbeitung «nur Nieten vorgesprochen haben». Doch
dann wirbelt Vanda (Emmanuelle Seigner) herein: ein Vamp mit Kaugummi im Mund, Tattoo am Arm, Lederband um den Hals, Strapse unterm Mantel und sonst recht wenig Stoff am Leib.
Psychosexuelles Machtspiel
«Wir suchen einen anderen Typ», sagt Thomas schnell, nachdem ihr gleich mal ein erstes undamenhaftes «Putain de merde» entfahren ist. Das Stück von 1870 sei Weltliteratur, postuliert er pompös;
und mit dessen kultivierter Heldin Wanda von Dunajew hat die Gelegenheitsmimin für ihn nun wirklich nur die Aussprache des Vornamens gemein. Vanda freilich findet, sie sei «perfekt für die Rolle»
und das Stück sei «ja im Grunde ein Sadomaso-Porno». Damit hat sie zwar sogar ein bisschen recht – ist die Novelle des Österreichers von Sacher-Masoch doch einer der ersten Beiträge zum Thema
sexuelle Unterwerfung und Stifterin des Begriffs Masochismus. Thomas ist gleichwohl entrüstet und angewidert ob solch profaner Assertion. Wenigstens so lange, wie sie zu rezitieren beginnt und
ihm die Spucke im offenen Mund wegbleibt. Eine Offenbarung ist Vanda als Wanda, während er ganz passabel den Part des Severin von Kusiemski gibt. Und so wie dieser sich von seiner Herrin
versklaven lässt, so gerät auch Thomas bald in den Bann einer immer herrischeren Dame, die ihm hoch überlegen ist. Im Nu sind in diesem psychosexuellen Machtspiel die Rollen des dominanten
Regisseurs und der ihm unterworfenen Schauspielerin vertauscht; und die Grenzen zwischen Spiel und Sein sind ohnehin längst verwischt: Vanda ist Wanda, Thomas ist Severin, und Seigner und Amalric
umschmeicheln und fetzen sich, ohne dass immer klar ist, in wessen Namen sie das tun.
Sadomasochistisches Verhältnis
Oder ist da gar noch eine weitere Ebene? Denn so wie Novachek von Vanda als Kusiemski identifiziert wird, so dürfen wir wohl Polanski in Novachek erkennen. Das fällt über die Namentypologie
hinaus umso leichter, als Seigner die Gattin des Regiemeisters ist und Amalric eine frappante Ähnlichkeit mit dem jungen Polanski hat. Lustvoll wird denn auch der Geschlechterkampf auf das
durchaus sadomasochistische Regisseur-Schauspieler-Verhältnis ausgeweitet: So wendet Vanda das Blatt nicht nur kraft einer stetig forcierteren Erotik, mit der sie Thomas allmählich willenlos
macht, aus der Fassung und endlich um den Verstand bringt; sie tut es auch mit perfiden Sticheleien, die auf seine künstlerische Potenz zielen: wenn sie seine Bearbeitung des Stücks als
«Abschreiben» abtut oder ihm deren sexistische Klischees vorhält. Sie tut das so lange, bis er sprichwörtlich wie buchstäblich auf der Couch liegt und sich um Kopf und Kragen faselt. Und wie alle
wahrhaft versierten Manipulatorinnen greift sie dabei zum ultimativen Trick und macht ihn glauben, das alles sei seine Idee gewesen. «Ich akzeptiere alles, was Sie sagen», wird der nunmehr
versklavte Zampano zur Mimin sagen und sodann fragen: «Ist das ein Spiel?» Ja, es ist ein Spiel, ein sehr virtuoses sogar, was gerade Amalric und Seigner, die Stars aus «Le scaphandre et le
papillon», da beim Wiedersehen veranstalten. Eine Bühne, wie sie ihnen Roman Polanski hier bietet, erhält ihresgleichen freilich auch nicht alle Tage.