von Sandro Danilo Spadini
Den ersten Streit haben Ahmad (Ali Mosaffa) und Marie (Bérénice Bejo) noch im Auto auf dem Rückweg vom Flughafen. Da ist es dann vielleicht besser, dass ihre Geschichte schon am Anfang von Asghar
Farhadis «Le passé» zu einem Ende kommen wird. Um
die Scheidung endlich zu finalisieren, ist Ahmad von Teheran nach Paris zurückgekehrt: «um die Sache gut zu beenden» nach der schon vier Jahre währenden Trennung. Doch gut sind die Dinge hier in
Paris gerade nicht. Und sie werden es auch nicht, wiewohl der Ton zwischen den bald geschiedenen Leuten zunächst wieder ziviler wird. Zu viele Überraschungen, zu viele Missverständnisse, zu viele
Demütigungen lauern da auf die beiden und alle um sie herum in den nächsten 130 Minuten. Und entsprechend missmutig sind sie denn auch alle die ganze lange Zeit: der abgekämpfte Ahmad; die
genervte Marie; ihre verzagte Teenagertochter Lucie (Pauline Burlet); ihr unerfreuter Zukünftiger Samir (Tahar Rahim); sein störrischer Bub Fouad (Elyes Aguis). Die Situation ist aber auch eine
Katastrophe. Bedrückend und beklemmend. Etwa wenn der Ex mit dem Neuen am Küchentisch sitzt, sie stumm ins Leere schauen und Samir dann aufsteht, um draussen im Schopf das Licht auszumachen, das
Ahmad angelassen hat. Das ist einer dieser Momente, in denen die lebensweise Beobachtungsgabe dieses aussergewöhnlichen Autorenfilmers augenscheinlich wird. Und es gibt in «Le passé» wieder viele
solche Momente.
Vom Drama zum Thriller
Wie schon in seinem Oscar-gekrönten Meisterwerk «A Separation» spielt sich auch nun wieder das meiste in den eigenen vier Wänden ab. Diese stehen hier in einem unschicken Pariser Vorort nahe der
Bahngleise: nicht gerade trist, aber auch nicht eben heimelig. Dies umso weniger, als sie gerade einen frischen Anstrich erhalten und alles etwas chaotisch ist. Die Symbolik ist offensichtlich:
Der Übergang von Alt zu Neu ist ein Krampf. Und dass Samir auf die Farbe allergisch reagiert, kann dann auch nichts Gutes verheissen. Wenn er in einer frühen Szene Marie aus dem Auto heraus
nachschaut, schwingt jedenfalls keinerlei verliebte Freude auf die künftige Mutter seiner Kinder in seinem Blick – sondern vielmehr schon so etwas wie Abschied. Von Samir freilich erfahren wir
lange kaum etwas. Denn zunächst ist auch dies wieder eine Geschichte einer Trennung. Und so wie die wundervoll beherrscht verkörperten Figuren jeweils erst nach einigem Insistieren zu
Informationen kommen, so enthüllt uns der zurückhaltende Erzähler Farhadi bloss tröpfchenweise die Fakten dieses Falls. Der liegt schliesslich weit komplizierter, als es vorerst scheint, wenn
Ahmad von Marie gebeten wird, doch mal mit seiner einstigen Stieftochter Lucie zu reden. Ihre neu entflammte Widerspenstigkeit ist nämlich nicht bloss die Rebellion eines Backfischs gegen die
schon dritte Ehe seiner Mutter; sie hat tiefere Gründe und liegt begraben in einem Geheimnis, dessen Erforschung aus diesem authentischen Familiendrama spät noch einen wendungsreichen
psychologischen Thriller um Schuld und Verantwortung macht.
All die Enttäuschungen
Doch auch mit diesem Wissen bleibt alles schrecklich unsicher: Lucie glaubt, Samirs Frau habe sich wegen seiner Affäre mit Marie umbringen wollen. Marie glaubt, sie fülle in Samirs Leben nur die
Lücke. Samir glaubt, zwischen Marie und Ahmad sei noch etwas. Ahmad glaubt, Lucie könnte recht haben. Und bisweilen glauben sie auch zu wissen und sehen Gespenster. Dabei ist das einfach nur: das
Leben. Mit all seinen Enttäuschungen, für die niemand etwas kann, und all den kleinen Fehlern, die zu grossen Dramen führen. Doch an der Unsicherheit zerbrechen sie hier. Und an der Wahrheit, der
tatsächlichen und der vermeintlichen, erst recht. Es ist deshalb vielleicht das einzig Richtige, wenn Samir nach dem ganzen Streit und den vielen Tränen gegen Ende zu Marie sagt, man solle jetzt
«einfach vergessen». Und wenn sie später zu Ahmad meint, sie wolle «nicht zurückblicken», als er ihr erklären will, warum er damals vor vier Jahren gegangen ist. Denn wenn etwas sicher ist, dann
dies: dass es nun, wo sie mehr, wenn auch nicht alles wissen, weitergehen muss. Irgendwie.