von Sandro Danilo Spadini
Die Mutter hatte Tina (Alice Lowe) noch extra gewarnt, es sei nicht sicher mit diesem Chris (Steve Oram). Und wiewohl die alte Schachtel wahrlich nicht mit einem verlässlichen Urteilsvermögen
glänzt und Tina sowieso und ewig schon für den Tod ihres vergötterten Hündchens traktiert: Es hat was Prophetisches, wenn sie Chris nochmals anschnauzt und Tina «Mörder» nachbellt, als die beiden
Frischverliebten zum Wohnmobil-Urlaub im nordenglischen Yorkshire aufbrechen. Denn als ob der rigide geplante Trip mit Besuchen im Strassenbahn- und im Bleistiftmuseum nicht schon Nervenkitzel
genug verspräche: Gleich auf dessen erster Station gewährt Chris seiner Liebsten einen Einblick in die massiv tiefen Abgründe seiner Seele. Tödlich regt er sich da nämlich über einen Kerl auf,
der die historische Tram mit einer Eisverpackung besudelt; rasend vor Wut ist er, als dieser Kulturbanause seinen Tadel auch noch mit dem Stinkefinger quittiert; und nur konsequent ist es, dass
so einer solch Frevel nicht überleben wird: Chris überkarrt ihn kurzerhand mit dem Camper.
Extrem cholerisch
Spätestens jetzt müsste klar sein, dass dieser Campingtrip mehr sein wird als eine «erotische Odyssee», wie es Chris nennt. Dass ihr Galan mit dem roten Rauschebart ein veritabler Soziopath ist,
merkt Tina freilich noch lange nicht. Aber Tina ist für ihre 34 Lenze auch einigermassen begriffsstutzig. Und immerhin tut Chris den trommelnden Schamanen aus Portsmouth nichts an, die er nur mit
seinem Blick massakriert, weil sie ihn und die anderen Camping-Nachbarn wachhalten. Schon soft geworden ist er deshalb aber keineswegs, wie sogleich der schnöselige Schreiberling von nebenan
schmerzlich zu spüren bekommen wird: Dessen tödlicher Fehler war es, anders als Chris kein verhinderter, sondern ein bereits zweifach publizierter Autor zu sein. Damit ist im Weiteren klar, dass
Chris nicht etwa auf einem Kreuzzug gegen die Verrohung der Sitten ist – sondern sich einfach wahnsinnig schnell aus der Ruhe und in Rage bringen lässt und zu rabiaten Methoden greift, um seinen
Seelenfrieden zu finden. Als Tina das irgendwann auch noch kapiert, findet sie erst einmal bloss, dass so was den Urlaub verderbe – um es dann Chris gleichzutun und ihren mörderischen Trieben
freien Lauf zu lassen. Und so haben wir es nun also auch in Ben Wheatleys nicht eben zimperlichem Drittling «Sightseers» mit einem wirr-wild-wahnsinnigen Killerpärchen zu tun. So wie Mickey und Mallory in Oliver Stones «Natural Born Killers».
Oder ein bisschen wie Clarence und Alabama in Tony Scotts «True Romance». Und natürlich wie Vater und Mutter aller Killerpärchen: Bonnie und Clyde in Arthur Penns Klassiker. Von diesen Ikonen der
Filmgeschichte unterscheiden sich Chris und Tina nun allerdings gewaltig und zuallererst durch die vollständige Absenz von Glamour: Sie sind quasi Mickey und Mallory auf Dosenbier. Clarence und
Alabama in Wollsocken. Bonnie und Clyde im Camper.
Enorm komisch
Just diese bodenständige Biederkeit der beiden brillanten (und für das Drehbuch besorgten) Hauptdarsteller ist es indes, die Chris und Tina noch beängstigender macht als ihre berühmten Kinoahnen.
Auf einen ebensolch frucht- und furchtbaren Widerspruch spekuliert denn auch die Regie, wenn sie das zusehends wirklichkeitsferne Tun in ultrarealistische Bilder packt. Schliesslich hat Regisseur
Wheatley das bereits im kruden Vorgänger «Kill List» recht erfolgreich erprobt: Auch dort hatte er sein Publikum erheblich erschreckt und endlich entrüstet mit einer immer blutigeren und
rauschhafteren Fantasterei, die im Alltagsgewand dahertorkelte. Und schon dort wie hier nun in diesem Tempo-30-Roadmovie profitierte die Inszenierung ungemein von urbritischen Gegebenheiten: der
mitunter mystischen Landschaft und dem meist miserablen Wetter, das der sinnlosen Brutalität auch noch eine trostlose Note gibt. Sehr britisch ist in «Sightseers» aber selbstredend auch der
Humor: pechschwarz, mit Ausflügen ins Bizarre – und enorm komisch. «Ich will nur gefürchtet und respektiert werden», meint Chris gegen Ende. Gerade das hat Ben Wheatley mit seinem dritten Streich
für sich erreicht.