Einen Silberstreifen gibt es immer

Regisseur David O. Russell hat mit «Silver Linings Playbook» einen Film voller Witz und Wärme gedreht – auch dank einem Darstellerensemble zum Niederknien.

 

von Sandro Danilo Spadini

Bestmöglich fängt die neue Kinosaison an: mit dem wunderbarsten Film des soeben abgelaufenen Jahres. «Silver Linings Playbook» heisst dieser, und inszeniert hat ihn mit David O. Russell ein Mann, der schon manch Beachtliches geleistet hat, zuletzt den Boxerfilm «The Fighter». Für die Adaption von Matthew Quicks gleichnamigem Roman wird es dank Russells Top-Timing und Stakkato-Dialogen nun gewiss Oscar-Nominierungen regnen; ob auch eine für Hauptdarsteller Bradley Cooper dabei sein wird, ist angesichts der knackigen Konkurrenz freilich fraglich. Fraglos aber spielt der «Sexiest Man Alive» als ein Nervenbündel namens Pat auf wie nie. Pat hat gerade acht Monate in einer Klinik in Baltimore zugebracht, was zwar nicht schön war, aber immer noch besser als Gefängnis. Dort wäre er gelandet, hätte man ihm nicht eine bipolare Störung attestiert, nachdem er den Geliebten seiner Gattin spitalreif geprügelt hatte. Einen Job hat Pat jetzt nicht mehr, ein Haus auch nicht, und zur Frau darf er auf richterliches Geheiss keinen Kontakt aufnehmen. Somit bleiben noch die Eltern in den Suburbs von Philadelphia. Zu ihnen zieht Pat nun, und an ihren Nerven zerrt er fortan: indem er sie etwa um vier Uhr nachts weckt, um sich über den Schluss eines Hemingway-Buchs zu beschweren, bevor er selbiges aus dem – geschlossenen – Fenster wirft.

Die Schicksalsgemeinschaft

Dass Pat sein Temperament nicht im Griff hat, mag erblich bedingt sein. Sein Vater jedenfalls, Pat Sr. (Robert De Niro), ist auch nicht der Entspannteste, besonders wenn es um Football geht. Vor allem aber ist er geschlagen mit einem Aberglauben, wie ihn nur Sportfanatiker kennen. Weit mehr als das momentane Befinden seines Sohnes interessiert ihn denn auch, wo dieser sitzt während der Übertragungen der Spiele seiner Philadelphia Eagles. Aber Pat Sr. hats halt auch nicht leicht, hat gerade Stelle und Rente verloren und versucht nun mit Sportwetten durchzukommen. Immerhin ist da noch die liebe Mama (Jack Weaver), die stets den passenden Imbiss parat hat und einen Hauch Normalität ins Haus bringt. Und bald ist da auch Tiffany (Jennifer Lawrence): die Schwester einer Bekannten Pats, die derzeit ebenfalls ziemlich durch den Wind ist. Auch sie hat ihren Job verloren, nachdem sie im Schmerz über den Tod ihres Mannes an immerhin elf Mitarbeiter(innen) ihren gesegneten sexuellen Appetit gestillt hatte. Und auch sie wohnt wieder bei den Eltern – und hat wie Pat ein Projekt: Derweil er sich mit exzessivem Joggen in Form bringen will für die Rückeroberung seiner Frau, strebt sie vehement die Teilnahme an einem örtlichen Tanzturnier an. Und so wie Pat eine Komplizin für seinen Plan benötigt, braucht Tiffany einen Partner für ihr Ziel – womit eine Schicksalsgemeinschaft steht, die ihre Aufs und Abs haben, uns aber in permanenter Hochstimmung belassen wird.

Der richtige Ton

Alle in «Silver Linings Playbook», auch die tollen Nebendarsteller von Julia Stiles bis Shea Wigham, haben einen Knacks, wenn nicht einen Knall – aber alle sind sie einfach zum Gernhaben. Und Russell hat schon seit seinem Debüt «Flirting with Disaster» die bewundernswerte Gabe, seine Figuren so schräg zu zeichnen, dass man über sie schmunzelt, sie aber nie belächelt oder auslacht. Denn bei allen humorigen Eskapaden vergisst er nie, dass diese Leute ernste Probleme haben: dass Nymphomanie, Zwangsneurosen und bipolare Störungen wohl «komödientaugliche» Krankheiten sein mögen, aber nichts Lustiges sind. Was Russell stattdessen in uns hervorruft, ist Bewunderung für diese Typen und dafür, wie sie ihr Kreuz bisweilen eben auch mit Humor tragen. Tatkräftig unterstützt wird er dabei von seinem Ensemble. Einem Robert De Niro, wie man ihn lange nicht und vielleicht noch nie gesehen hat: als Mimen der leisen Töne. Einem Bradley Cooper, wie man ihn definitiv noch nie gesehen hat: als brillanten Schauspieler. Und einer Jennifer Lawrence, wie man sie noch oft sehen wird: als das erfüllte Versprechen eines Sondertalents und ganz heisse Oscar-Kandidatin. Wenn der Abspann rollt, möchte man sie alle denn auch gar nicht gehen lassen – und so gerne noch eine Weile mit Pat Sr. Football gucken, mit Pat Jr. joggen und mit Tiffany tanzen.