Das Leben ist kein Picknick – sondern eine Party

Ein Film wie Champagner: Michael Winterbottom hat in «The Look of Love» das Leben des 2008 verstorbenen britischen Porno-Königs Paul Raymond als bunte Nummernrevue inszeniert.

 

von Sandro Danilo Spadini

Die gewohnte Arbeitswut legt der englische Ausnahmeregisseur Michael Winterbottom zwar nach wie vor an den Tag; anders als zu Beginn seiner Kinokarriere vor rund 20 Jahren ist dabei zuletzt indes nicht mehr viel Weltbewegendes rausgekommen. Eine ambitionierte Reise durch die Genres sowie einen passablen («A Mighty Heart») und einen verpatzten («The Killer Inside Me») Abstecher nach Amerika gab es da. Aber Filme der Klasse von «Jude» oder «Wonderland» wollten dem mittlerweile 52-Jährigen nicht mehr glücken. Umtriebig war zeit seines Lebens auch der Protagonist von Winterbottoms 22. Streifen «The Look of Love»: Paul Raymond war der König von Soho, Herrenmagazin-Verleger, Stripteaseclub-Besitzer, Immobilienmagnat und Anfang der Neunzigerjahre reichster Mann Grossbritanniens. Er war eigenen Angaben zufolge gut befreundet mit den Beatles; er hatte unzählige Frauen in seinem Bett mit dem per Fernbedienung freigelegten Blick auf den Sternenhimmel; er feierte Partys mit Unmengen von Champagner in seinem Apartment, das laut dem unehelichen Sohn aussah «wie etwas aus James Bond»; und beruflich lotete er gerne die Grenzen der Legalität aus und war für nicht wenige verantwortlich für einen Sittenverfall im Königsreich. Kurzum: Paul Raymond genoss das Leben in vollen Zügen. Dass dabei Menschen auf der Strecke blieben, ist aber auch klar.


Auf der Überholspur

Ein schlimmes Ende genommen hat es etwa mit Raymonds Tochter Debbie (beeindruckend: Imogen Poots). Darüber werden wir gleich nach dem discobunten Siebzigerjahre-Vorspann informiert. Er verstehe nicht, was da geschehen sei, diktiert ein schon etwas älterer, aber kaum reiferer Paul Raymond (Steve Coogan) den Reportern noch in die Blöcke. Dann zieht er sich ins Kämmerlein zurück, um sich eine Doku über sich selbst und Debbie anzuschauen. Nun beginnt das eigentliche Schauspiel. Mit den bewährten Stilmitteln des Biopics wie Schwarzweissschnipseln, Interviewfetzen und Kommentareinsprengseln rollt Winterbottom jetzt dieses schillernde Leben voll Cabaret und nackter Haut auf: schön chronologisch von den Anfängen im noch etwas Glanz versprühenden Soho der Fünfziger über die Swinging Sixties bis zu den Siebzigern, wo der Glamour dem Schäbig-Schmuddeligen weicht, das Gras dem Koks und die Erotik dem Porno. Wie ein Irrer hetzt Winterbottom durch die Zeiten, ohne auch mal einen Blick nach links oder rechts zu werfen. Im Schnellzug klappert er Station um Station ab, ohne je einen längeren Zwischenhalt einzulegen. Das ist einerseits schade, weil das so nicht mehr als ein Kratzen an der Oberfläche bleibt und der Zeitgeist im wunderbaren Dekor stecken bleibt. Andererseits vermittelt eben gerade das Schnelle und Flache einer Nummernrevue ein Gefühl von dem Leben auf der Überholspur, das dieser Schürzenjäger und Sprücheklopfer zu führen pflegte; und ob es hinter dessen quietschvergnügter Fassade wirklich etwas zu entdecken gegeben hätte, stellt Winterbottom zumindest infrage – es könnte da auch einfach ein grosses schwarzes Loch gewesen sein.

Lieber Komik als Tragik

Ohnehin beleuchten Winterbottoms Regie und das Skript des Biopic-Spezialisten Matt Greenhalgh («Control», «Nowhere Boy») lieber die kuriosen als die tragischen Seiten dieses auf 100 Minuten kondensierten Lebens. Das kommt auch Hauptdarsteller Steve Coogan sehr zupass, der hier schon zum vierten Mal mit Winterbottom zusammenspannt. Denn Komödie kann Coogan, Drama ist hingegen nicht so seins. Deutlich wird das vor allem in der fokussierteren und weniger anekdotischen zweiten Hälfte, wenn es so scheint, als sei der Film endlich dort angekommen, wo er die ganze gehetzte Zeit eigentlich hinwollte. Nun rückt Debbie ins Zentrum, und nun wird Raymond allmählich die Rechnung präsentiert für seine allzu gedankenverlorene Lässigkeit. Aber auch jetzt kommt da nichts an die zusehends verkratzte Oberfläche. Denn das Leben mag zwar auch für einen Paul Raymond kein Picknick sein – aber es ist definitiv eine Party. Und so ist auch «The Look of Love» ein Film wie Champagner: Vielleicht kein Dom Pérignon, aber für ein beschwingtes Gefühl reichts.