Seine Wunder will er wieder besingen

In philosophisch-theologischer Entrückung und in berückend schönen Bildern sinniert der grosse amerikanische Filmpoet Terrence Malick in «To the Wonder» über die Liebe.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Neugeboren» ist das erste Wort in Terrence Malicks «To the Wonder». Gehaucht aus dem Off. Gefolgt von einem Gedicht. Und gemahnend an den Vorgänger «The Tree of Life», in dem Malick geradezu entrückt die Entstehung neuen Lebens und die Schöpfung an sich feierte. Doch leitet dieses erste Wort auch fehl. Denn die da auf Französisch haucht, ist die schöne Marina (Olga Kurylenko), eine nach Paris emigrierte Ukrainerin, und sie hat eine bereits zehnjährige Tochter und hegt (noch) keine spirituellen Hochgefühle. Was hier auf die Welt kam, ist vielmehr eine Liebe: ihre Liebe zum Amerikaner Neil (Ben Affleck). Sie zelebriert Malick zunächst in profanen Digicam-Wackelbildern, veritablen Amateuraufnahmen. Bald freilich müssen diese Emmanuel Lubezkis Kamera weichen, die sich wieder gerne auf Hüfthöhe tummelt oder sich von hinten an tänzelnde Menschen heftet; sie müssen Platz machen für jene berückend schönen Naturgemälde, die diesen Adalbert Stifter des US-Kinos, diesen Meister des weitschweifigen Schilderns und entschleunigten Erzählens auszeichnen: zunächst in Frankreich, als die Liebe noch jung ist, sodann in der amerikanischen Ödnis von Oklahoma, wo meist nichts und niemand ist und das Glück allmählich welk wird. Nun, mit vertrautem Boden unter den Füssen, darf auch Ben Affleck einmal etwas sagen, auch er aus dem Off. Viel ists allerdings nicht, was er da murmelt; und viel mehr wirds auch nicht werden im weiteren Verlauf dieser beinahe zweistündigen, beinahe dialoglosen, beinahe handlungsfreien Meditation über die Wunder der Natur, die Wunder des Lebens, die Wunder der Liebe.

Die Liebe – und die Zerstörung

Der Schauplatz ist hier ein ähnlicher wie in «The Tree of Life»: die Suburbs im Mittleren Süden der USA. Die Zeit jedoch ist eine andere, die idyllisch-adretten Fünfzigerjahre sind weit weg. Die Welt von «To the Wonder», Malicks erstem Film, der in der Gegenwart spielt, ist versehrt. Hart trifft hier das Mensch- auf das Gottgeschaffene. Und das mahnt Malick, der andernorts viel ausspart und lieber andeutet, ungewöhnlich deutlich an. So zeigt der sanfte Ästhet nicht nur Bilder, denen jede Schönheit fremd ist, sondern lässt Neil als Umweltinspektor auch noch in verseuchtem Boden und verschmutzten Gewässern waten. Doch nicht nur die Natur krankt; auch sonst bröckelt und rostet es in dieser Vorortswüste allenthalben. Und die Liebe ist vor dem Zerfall ebenso wenig gefeit, schon gar nicht dann, wenn auch sie ihre zerstörerische Kraft entfaltet. Bald werden die Berührungen also weniger, wird die Distanz grösser. Statt auf ineinander verschlungene Körper fokussiert Malick nun auf die Leerräume zwischen ihnen und richtet den Blick immer wieder sehnsuchtsvoll aus dem Fenster – auf das, was da sonst noch sein könnte. Und was da noch ist nach Marinas zwischenzeitlicher Rückkehr nach Frankreich, ist etwa Neils Jugendliebe Jane (Rachel McAdams). Auch sie darf per Voiceover über das stete Rauschen und die Klänge von Bach und Wagner bis Schostakowitsch und Pärt ihre Sorgen flüstern – so wie das Pater Quintana (Javier Bardem) mit seinen (Stoss-)Gebeten tut, dieser Glaubende, der doch ein Suchender geblieben ist. Mit ihm und seiner Zerrissenheit drängt nun abermals das Theologische nach vorne. Was das indes für die Liebe Neils und Marinas bedeutet? Das erschliesst sich eher nur jenen, die für einen solchen Trip mit einem derart beredt abschweifenden Reiseführer das passende philosophische Rüstzeug mitbringen.  

Natürlich wunderlich

Freilich ist auch Malicks neuste sphärische Fantasie, die bald in ganz kurzen, bald endlos langen Sequenzen hin- und herwogt, ohnehin mehr sinnlich denn rational fassbar. Wie David Lynch, sein Jahrgänger am American Film Institute, ist Malick weniger daran gelegen, dass man erkennt, was passiert, als dass man erfährt, was die scheinbar vertrauten Dinge wirklich bedeuten. Die Geschichte erzählt dieser so mysteriöse und enigmatische Über-Künstler des amerikanischen Autorenkinos nicht, er evoziert sie. Was dabei entsteht, ist poetisch und pastoral. Erotisch und elegisch. Abstrakt und absorbierend. Und es ist natürlich wunderlich.