von Sandro Danilo Spadini
Manchmal kann man es niemandem recht machen: Das mögen sich Regisseurin Kathryn Bigelow und Drehbuchautor Mark Boal denken angesichts des Rummels, den ihr neuer Film «Zero Dark Thirty» ausgelöst hat. Da vermuteten
konservative Kreise in dem mehr als zweieinhalbstündigen Thriller über die Jagd auf Osama bin Laden zunächst bare Pro-Obama-Propaganda, weil man noch von einem Kinostart im Oktober kurz vor den
Präsidentschaftswahlen ausging. Und sowieso habe die Obama-Administration den Filmemachern Zugang zu klassifiziertem CIA-Material gewährt, wetterten Verschwörung witternde Republikaner weiter.
Besonders auf der anderen Seite des politischen Spektrums wiederum wird das Team hinter dem Oscar-gekrönten Drama «The Hurt Locker» für eine angebliche Pro-Folter-Haltung angegriffen: Techniken
wie das Waterboarding würden als Schlüssel zum Erfolg bei der Suche nach Terroristen dargestellt. Die Schriftstellerin Naomi Wolf ging so weit, Bigelow auf eine Stufe mit der
Nazipropaganda-Filmerin Leni Riefenstahl zu stellen. Wie diese sei sie eine grosse Künstlerin: «Aber nun wirst du für immer in Erinnerung bleiben als eine Dienerin der Folter», schrieb sie in
einem offenen Brief im «Guardian», wo sie spekulierte, Bigelow habe sich so das Entgegenkommen des Pentagons beim Bereitstellen teurer Militärausrüstung erkauft. Von derlei Kontroversen liess
sich schliesslich wohl auch die Academy schrecken. Anders ist es kaum zu erklären, dass sie sich zu dem Irrsinn, Wahnsinn, Unsinn hinreissen liess, nebst Ben Affleck («Argo») auch Bigelow die
Oscar-Nominierung in der Regiekategorie zu verwehren.
Journalistischer Anspruch
Übermässig grämen sollten sich Bigelow und Boal gleichwohl nicht. Denn einigen, ja ausserordentlich vielen haben sie es letztlich doch noch sehr recht gemacht. Allen voran den US-Kritikern. Diese
haben «Zero Dark Thirty» praktisch unisono in den Himmel gelobt – und ihn zu dem am besten rezensierten Film im Jahr 2012 geschrieben. An dessen kinematischen Qualitäten zu zweifeln, scheint also
von vornherein zwecklos. Angreifbar haben sich Bigelow und Boal vielmehr dadurch gemacht, dass sie ihre Arbeit als journalistisch, als semidokumentarisch bezeichnen. Zumal sie damit einen – nicht
überprüfbaren – Wahrheitsgehalt behaupten (der Film beginnt mit den Worten: «fussend auf Berichten aus erster Hand über tatsächliche Ereignisse»). Filmisch ist dieses
Journalistisch-Semidokumentarische aber auch nicht ganz ohne Fallstricke: wenigstens insofern, als sich Streifen mit solchem Anspruch nicht selten durch eine gewisse Zähheit auszeichnen. Zäh
waren aber eben auch die Ermittlungen, die am 2. Mai 2011 im pakistanischen Abbottabad endlich in der Ergreifung bin Ladens gipfelten. Um diesen langen und steinigen Weg zu veranschaulichen,
setzt «Zero Dark Thirty» denn auch fast zehn Jahre davor ein: am 11. September 2001. Nur akustisch indes lässt Bigelow den Schrecken dieses Tages aufflackern – die Leinwand bleibt schwarz. Sodann
gesellt sie sich zur jungen CIA-Ermittlerin Maya (Golden Globe für Jessica Chastain). Es ist jetzt das Jahr 2003, und Maya wird Zeugin einer ersten Folterung. Noch ist sie ein wenig beeindruckt
davon; bald jedoch wird sie abgehärtet sein: von immer neuen Gräueln der Terroristen, von den stetig grausameren «erweiterten Verhörmethoden» der anderen Seite, von den abermaligen Rückschlägen
und Frustrationen bei der Suche nach dem Teufel schlechthin.
Heiliger persönlicher Krieg
Bigelow schildert das alles sehr genau, peinlich genau, unnötig genau bisweilen; und gerade deshalb möchte man ihr den journalistischen Anspruch glauben. Denn man könnte sich bei einem Film mit
einem solch populären Thema Knackigeres vorstellen als bürokratisches Prozedere und staubtrockene Strategiebesprechungen ohne Ende. Oder Verhöre, die nichts einbringen. Oder Ermittlungen, die ins
Leere laufen. Doch all dieser mühseligen Kleinarbeit zum Trotz hat «Zero Dark Thirty» eine ungeheuer kraftvolle Spannung, die sich gegen Schluss noch potenziert und endlich birst in der finalen
Szene in Abbottabad. Spätestens hier hat Bigelow ihren Status als Actionfilmerin untermauert: als eine notabene, die geradeso sehr wie das Spektakel das Menschliche beschäftigt. Der Kampf gegen
al-Qaida, die Taliban und bin Laden ist so stets auch Mayas persönlicher Krieg. Und das, obwohl Bigelow – offenbar im Urvertrauen in das Vermögen von Jessica Chastain – ihrer Hauptfigur keinen
nennenswerten persönlichen Hintergrund gibt.
Dokument und Monument
Ungeachtet des eigenen Anspruchs ist «Zero Dark Thirty» damit im Kern traditionelles Kino: die Geschichte einer Obsession, des heilig-eifrigen Verfolgens eines Ziels. Dass es bei dessen Erreichen
dann merkwürdig ruhig bleibt, passt wieder zu dem unpathetischen, unsentimentalen Ansatz Bigelows; und demselben Muster folgen die Folterszenen: Nüchtern werden garstige Tatsachen aufgezeigt,
welche die Filmemacher so wenig explizit anklagen wie die Taten der Terroristen. Damit setzen Bigelow und Boal, die sich dezidiert gegen die Vorwürfe einer Pro-Folter-Haltung verwahren, natürlich
einiges voraus beim Zuschauer. Das ist mutig. Und ehrenwert. Schliesslich hätten sie es sich auch ganz leicht machen und dieses dunkle Kapitel einfach aussparen können. Doch das hätte gemäss den
Filmemachern «die Geschichte weissgewaschen». Und das wäre ungemessen gewesen. Zumal sie ja ihren Film als historisches Dokument verstanden haben wollen. Was Bigelow und Boal hier freilich vor
allem errichten wollten, ist ein filmisches Monument. Und gerade das ist «Zero Dark Thirty»: ein Brocken, nahrhaft und schwer verdaulich.