von Sandro Danilo Spadini
Es sind die gefeierten Stars aus den beiden Vorgängern «The Fighter» und «Silver Linings Playbook», die zu Regisseur David O. Russell zurückgekehrt sind für die Gaunerkomödie «American Hustle» – doch wiederzuerkennen sind diese
bekannten Gesichter hier kaum. Christian Bale etwa hat sich für die Rolle des Trickbetrügers Irving Rosenfeld eine ziemliche Wampe angedeihen lassen und trägt zur getönten Riesenbrille die
letzten Haare schick über die Glatze gekämmt. Die sonst so brave Amy Adams ist mit ihrem Glitzerfummel und dem Aufdonnerungs-Make-up sexy wie nie und offeriert als Irvings Liebchen Sydney Prosser
den ganz tiefen Einblick in ihr Dekolleté. Bradley Cooper als selbstdeklariert «kreativer» und vor Erregung dampfplaudernder FBI-Mann Richie DiMaso tut sich wiederum frisurtechnisch hervor mit
seiner Dauerwelle und teilt mit Irving eine Vorliebe für violette Anzüge. Und Youngster Jennifer Lawrence schliesslich gibt sich in der Rolle von Irvings wartungsintensiver Gattin Rosalyn herb
und derb und entledigt sich als kettenrauchender blonder Vamp jeder Jugendlichkeit.
Lügen, Lügen, Lügen
Ein Hoch also auf die Leute aus der Schmink- und Kostümabteilung, die hier die Siebzigerjahre so schön aufleben lassen. Doch da ist mehr, selbstverständlich. Denn in diesem zehnfach
Oscar-nominierten Gesamtkunstwerk geht es wohl zu einem beträchtlichen Teil um Stil, aber nie nur. Stets ist da auch eine Menge Substanz. Nicht nur bei der so fiebrigen wie geschmeidigen
Inszenierung und dem von Russell mit Eric Warren Singer («The International») verfassten Skript. Sondern eben auch bei Bale, Adams, Cooper und Lawrence, die weniger mit ihren Verkleidungen als
mit ihrer stupenden Wandelbarkeit diese Verwandlungen vollbringen. Ähnliches Geschick brauchen auch ihre Figuren, die hier allesamt schwindeln, bis uns schwindlig wird: Irving wickelt hinter der
Fassade seiner New Yorker Reinigungsfirmen faule Kunst- und Kreditgeschäfte ab. Sydney assistiert ihm dabei, indem sie sich als britische Aristokratin ausgibt. Richie entlarvt die beiden und
bindet sie in ein elaboriertes Täuschungsmanöver zur Korruptionsbekämpfung ein, das auch einen falschen Scheich (Michael Peña) beinhaltet. Und Rosalyn macht da ebenfalls mit, erweist sich aber
als so unkontrollierbar wie das amouröse Wirrwarr zwischen ihrem Mann, seiner Geliebten und dem Bundespolizisten, der sie alle in der Hand hat. Der Einzige, der in diesem komplexen Lügengebilde
nichts vortäuscht, ist ausgerechnet jener Politiker, dem es an den enormen Hemdkragen gehen soll: Carmine Polito (auch eine schöne Frisur: Jeremy Renner), der grossherzig-joviale Bürgermeister
einer verarmten Gemeinde in New Jersey, der der Spielerstadt Atlantic City den alten Glanz zurückbringen will. Der hat es zwar auch gerne lustig; er möchte aber vor allem das Beste für seine
Wähler – auch wenn er sich dafür mit Leuten wie dem Supermafioso Victor Tellegio (Robert De Niro) einlassen muss.
Der Schauspieler-Regisseur
Es ist nicht nur De Niros Kurzauftritt, der einen hier an grosse Martin-Scorsese-Sausen wie «GoodFellas» oder «Casino» denken lässt. Wie sie ist auch diese satirisch gefärbte Rückschau auf den
FBI-Kampf gegen die Korruption in den Siebzigern Spasskino par excellence mit Champagner-Momenten en masse: ein Stück amerikanische Geschichte, das im lässig geschnittenen Glamourgewand eines
reinen Unterhaltungsstücks daherkommt; ein atemloses Feuerwerk aus Clous, Bonmots und Pointen; eine rauschende Party zwischen Jazz, Rock und Disco. Und bei alledem gewichtet auch dieser
Russell-Film die menschliche Komponente höher als alles andere. Das mag ein Grund sein, warum dem 55-jährigen New Yorker die Stars in Scharen zulaufen. Das und natürlich die Tatsache, dass
Russell in seinen letzten drei Filmen unfassbare elf Mimen zu Oscar-Nominierungen dirigiert hat. Als erster Filmemacher überhaupt hat er es nun fertiggebracht, in zwei aufeinanderfolgenden Jahren
in sämtlichen vier Darstellerkategorien eines seiner Schäfchen unterzubringen. Hüftringe, Lockenwickler und Busenschluchten hatten damit freilich nur am Rande zu tun.