von Sandro Danilo Spadini
«Ich werde Sie umbringen, weil Sie nichts falsch gemacht haben. Ich werde Sie umbringen, weil Sie unschuldig sind.» Was Pater James (Brendan Gleeson) in der Auftaktszene von John Michael
McDonaghs «Calvary» im Beichtstuhl zu hören
bekommt, müsste ihn eigentlich umhauen. Bis am Sonntag, noch eine Woche, habe er Zeit, sein Leben zu ordnen – dann schlage seine letzte Stunde unten am Strand. Ausgerechnet er also, den einer
später mit Recht als «interessanten Mann» bezeichnen wird, soll stellvertretend bezahlen für die Sünden anderer. Er, der so ein gutes Herz hat. Der so ehrlich ist. Der dem Beichtenden gar nicht
erst vorgemacht hat, er habe Antworten, als der ihm von seiner Hölle erzählt hat: den sexuellen Misshandlungen durch Gottesmänner, denen er als Kind ausgesetzt war. Pater James war darüber
betrübt, aufrichtig betrübt. Schockiert war er indes so wenig, wie er es nun über sein angekündigtes Ende ist. Denn James, der erst nach dem Tod seiner Frau und der Überwindung seiner Trinksucht
zum Pater wurde, ist hart im Nehmen. Und so geht dieser stämmige Hirte mit dem dicken Rucksack und dem rostigen Bart nach dem Paukenschlag des Prologs fast unbeirrt seines Weges. Mit Engelsgeduld
und Schlagfertigkeit kümmert er sich weiter um die Spleens und Sorgen seiner schwarzen Schäfchen und anderer bunter Vögel in dem Kaff oben im rauen irischen Nordwesten.
Sehr irisch, sehr katholisch
Pater James weiss, wer ihn da bedroht; er weiss aber nicht, ob es ihm ernst ist. Daraus liesse sich eine Art Whodunit mit psychologischer Grundierung stricken. McDonagh freilich macht etwas
anderes. Die Tage bis zum Sonntag abzählend, lässt er James wie einen guten Sheriff durch seine Gemeinde ziehen und in episodischer Abfolge mit Spinnern und Zynikern in den verbalen Nahkampf
treten. Verhandelt wird da nicht nur Gott, sondern auch die Welt: Die religiöse Krise Irlands nach den schlimmen Enthüllungen über die katholische Kirche ist ebenso Thema wie die finanzielle im
Nachgang zum Bankencrash. Vor allem aber geht es um Schuld: um all die Fehler, all die Sünden, all das Leiden – gerade auch im Zwiegespräch zwischen James und seiner suizidalen Tochter Fiona
(Kelly Reilly), die er einst für Gott verliess. Es fallen da viele kluge Sätze, wie man sie vielleicht von einem Priester erwarten darf – und solche, wie man sie nicht oft hört von einem
Gottesmann. Es wird dabei auch gesagt, dass man wohl nicht in allem, doch aber in vielem Schönheit finden könne. McDonagh nimmt sich das quasi zum Leitmotiv. Er sucht und findet diese Schönheit
jedenfalls an seltsamen Orten. Und den Humor an gar noch seltsameren. Das freilich könnte auch deplatziert wirken angesichts der Tragweite der Tragik, die ja am Anfang dieser Geschichte steht.
Doch ist es eine sehr herbe, eben irische Schönheit, die McDonagh und Kameramann Larry Smith («Eyes Wide Shut») derart atemberaubend ins (Panorama-)Bild rücken; und der Humor ist stets so schwarz
wie Pater James‘ wehende Soutane.
Es wird dunkler
Nichtsdestotrotz muss da noch mehr kommen; und weil McDonagh das natürlich auch weiss, kommt mehr, wird es schwerer, geht es tiefer. Auf die ästhetischen und verbalen Reize, die bei aller
Brillanz doch oberflächliche Glanzlichter bleiben, folgen denn endlich auch Zweifel und Melancholie. Fast unmerklich dunkelt McDonagh das Geschehen ab. Pater James wendet sich jetzt auch mal
angeödet oder angewidert ab von den allmählich den Witz verlierenden und in die Finsternis ziehenden Skurrilitäten und Absurditäten im Leben der Dorfbewohner. Meisterhaft gemacht ist dieser
Stimmungsumschwung, wobei McDonagh wie einst sein Bruder Martin bei «In Bruges» enorm profitiert vom Gewicht, das Brendan Gleeson in die Waagschale wirft: Da wie dort sorgt dieser Koloss von
einem Mann und dieser Riese von einem Mimen wenigstens für ein bisschen Ruhe in einem Käfig voller Narren. Inmitten aller Stürme ist der Spezialist für unvollkommene Figuren, dem McDonagh schon
bei seinem Debüt «The Guard» bedingungslos vertraute, so das unverrückbare Zentrum von «Calvary». Und mit geradezu majestätischer Würde strebt sein Pater James denn auch seinem Kalvarienberg,
seinem Golgota zu, um die Sünden anderer auf sich zu nehmen.