Was haben sie einander bloss angetan?

Thrillerspezialist David Fincher hat Gillian Flynns wendungsreichen Millionenbestseller «Gone Girl» auf die Leinwand gebracht. Und selbstverständlich hat er das grossartig gemacht.

 

von Sandro Danilo Spadini

Diesem Mann traut man eigentlich nicht zu, dass er auch mal etwas falsch machen könnte. Als Regiestar David Fincher im Januar aber erklärte, er und Gillian Flynn hätten den dritten Akt von deren wendungsreichem Bestseller «Gone Girl» komplett umgestellt, gab es dann trotzdem einen Aufschrei. Schliesslich ist es doch gerade dieser herzstoppende, atemraubende, kinnladensenkende dritte Akt, der Flynns Buch zu solch einem Knüller macht! Typisch Hollywood, ätzten Berufspessimisten also mit vorauseilendem Zorn. Doch sie hätten mehr Zutrauen haben sollen in den Mann, der mit seinen 52 Jahren schon mehr lupenreine Meisterwerke in seiner Vita stehen hat als manch einer mit klingenderem Namen und voluminöserem Ego; sie hätten vollstes Vertrauen haben sollen in den Schöpfer von «Seven», «Fight Club», «Zodiac», «The Social Network» und der Stieg-Larsson-Verfilmung «The Girl with the Dragon Tattoo». Denn nun, da das Ergebnis vorliegt, darf, ohne den Schleier über dem ominösen dritten Akt zu lüften, beruhigend verkündet werden, dass auch «Gone Girl» ein blitzsauberer Sofortklassiker ist – dass David Fincher, selbstredend, auch diesmal alles richtig gemacht hat.

Die perfekte Besetzung

Die Hauptherausforderung dabei muss das Spiel mit der Erzählperspektive und den gegenseitigen Anschuldigungen gewesen sein, das Flynn so heimtückisch betreibt: Zum einen ist da die kultivierte New Yorkerin Amy (Rosamund Pike), die vermutlich entführte, potenziell ermordete Titelfigur, die per Tagebuch und Rückblenden vom märchenhaften Aufflammen bis zum albträumerischen Erlöschen einer Liebe berichtet. Und zum anderen haben wir ihren nicht immer reif und geschickt agierenden Gatten Nick (Ben Affleck) aus Missouri, der als unschuldsbeteuernder Icherzähler Identifikation und Sympathie weckt und dabei durchaus zuverlässig scheint – auch dann noch, als Presse und Mob ihn mit einer gewissen Logik ins Visier genommen haben und zur Hexenjagd blasen. Seine Spannung bezieht der Stoff bei der sich als grosse Manipulatorin entpuppenden Flynn aus der Frage, wer hier lügt und wer was wem angetan hat – oder ob Amy und Nick allenfalls identische Ereignisse aus einer subjektiv verzerrten Sicht je unterschiedlich wahrnehmen. Und es zeigt sich nun, dass Fincher dieses Spiel mit den Publikumserwartungen so gut beherrscht wie seine Vorlagengeberin. Die halbe Miete hat er dabei freilich schon eingefahren, bevor die erste Klappe fiel – indem er erneut bestechendes Besetzungsgeschick bewies. Einen Besseren als Ben Affleck hätte er für die Rolle von Nick wirklich nicht finden können; auch ihn hat ja seine schnöselige Art öfters in die Bredouille und eine mediale Kampagne einst fast um die Karriere gebracht. Prompt hat man Affleck nie selbstverständlicher spielen sehen. Und bei Rosamund Pike wiederholt Fincher den Trick, einen heiklen weiblichen Hauptpart mit einem relativ unbekannten Gesicht zu besetzen. Das hat in «The Girl with the Dragon Tattoo» mit Rooney Mara schon hervorragend hingehauen; und es tut es hier nicht minder, weil Pikes unbefleckte öffentliche Persona anders als bei Affleck keine Rückschlüsse auf ihre Figur provoziert. Amy bleibt damit einstweilen umso mehr das rätselhafte Wesen, die leere Projektionsfläche, die bald vergötterte, bald verteufelte grosse Abwesende.

Mehr als ein Thriller

Zugutehalten darf, muss, will man dem Genrespezialisten Fincher auch, dass er die thrillerfremden Elemente der Vorlage nicht vernachlässigt – womit diese am Ende der mit Bedacht üppig bemessenen 150 Minuten Spielzeit rein gar nichts eingebüsst hat. So ist auch sein «Gone Girl» ebenso sehr ein unangenehm kluge Fragen stellendes Ehedrama, das eine moderne Liebesbeziehung mit polarisierender Präzision seziert und dabei mit analytischer Kühle schockiert. Und nicht zuletzt ist es eine kritische und oft komische Abrechnung mit dem verdrehenden, verfremdenden, vergiftenden Nonstop-Schüren von Hype und Hysterie, mit dem sich selbst ernannte Tugendhüter zu telegenen Henkersknechten aufplustern. Sein Gespür für Atmosphäre untermauert Fincher derweil auf dem ihm eher unvertrauten Kleinstadt-Terrain von Missouri im Heartland Amerikas. Und seinen Sinn für Humor beweist er auch noch: mit der Besetzung des «How I Met Your Mother»-Gecks Neil Patrick Harris in der Rolle von Amys Vielleicht-Stalker und des Blödelrabauken Tyler Perry als Nicks Anwalt. Solche Leute für einen Thriller dieser Tonlage und dieser Gewichtsklasse zu engagieren, kann eigentlich nicht gut gehen. Ausser man ist David Fincher. Dann klappt einfach alles.