«Ich will einfach nur allein sein»

Vor 27 Jahren trekkte eine junge Frau mit vier Kamelen und einem Hund 2700 Kilometer durch die westaustralische Wüste. Nun kommt ihre Geschichte in «Tracks» auch ins Kino.

 

von Sandro Danilo Spadini

Sechs bis sieben Monate, schätzt Robyn Davidson (Mia Wasikowska), werde ihr Trip dauern – ihr 2700 Kilometer langer Fussmarsch vom zentralaustralischen Alice Springs bis an den Indischen Ozean. «Dein Plan ist lächerlich», meint dazu ein Einheimischer. «Du bist seltsam», findet ein anderer. Sie jedoch «möchte einfach allein sein». Weil die Wüste sie schon immer angezogen habe. Und weil sie gelangweilt sei vom Leben in der Grossstadt. Bestimmt ist da noch mehr. Doch einstweilen erfahren wir nichts weiter. Stattdessen schauen wir Robyn bei ihren Vorbereitungen zu: beim Abrichten der Kamele, die sie als Lastentiere nutzen möchte; beim Abschied von den Freunden und der Familie, der ihr so gar nicht schwerfällt; bei der eher widerwilligen Suche nach einem Sponsor, den sie im «National Geografic Magazine» schliesslich auch findet. Fast zwei Jahre später dann, am 9. April 1977, geht es los: mit vier Kamelen und Hund Diggity. Und der junge Fotograf Rick Smolan (Adam Driver) wird ihr auch noch hergeschickt, dies als Bedingung des Magazins. Eine ziemliche Quasselstrippe ist das und mithin eine gewisse Bedrohung für die gesuchte Ruhe. Dem Film aber tut er gut. Er hebt ihn aus der schweren Ernsthaftigkeit, die ihm ansonsten innewohnt. Dann und wann zumindest, für die fünf oder sechs Mal, die er Robyn auf ihrem Trekking treffen kommt.

Homöopathische Dosis Esoterik

Ein Fremdkörper in diesem schroffen Gelände ist nicht nur dieser flapsige Amerikaner, sondern wenigstens vordergründig auch John Curran, der New Yorker Regisseur von «Tracks». Mit der Adaption von Robyn Davidsons Buch aus dem Jahr 1980 betritt er indes nur bedingt Neuland. Immerhin hat er in Australien bereits sein Debüt «Praise» gedreht und auch nachher fleissig Literarisches verfilmt; schon beim Liebesdrama «We Don’t Live Here Anymore» hat er sich zudem im Gefühligen geübt, während in seiner «The Painted Veil»-Adaption ebenfalls bereits das Abenteuer lockte. Nur zu seinen letzten Umtrieben im Thrillerfach mit dem Skript zum Flop «The Killer Inside Me» und dem Regieviertling «Stone» gibt es wirklich keine Parallelen. Denn Adrenalin und Nervenkitzel finden sich in dieser «Der Weg ist das Ziel»-Story mit der homöopathischen Dosis Esoterik kaum. Aber da draussen im weiten Nichts des Outback liegen die Handlungszünder auch nicht gerade haufenweise herum. Viel kann da eigentlich nicht passieren. Zwar trifft die «Kamel-Lady», wie man Robyn allerorten nennt, mal auf wilde Kamelbullen, die ihr gefährlich nahe kommen, oder auf Ureinwohner, die sie mit nettem Rat und nützlicher Tat unterstützen; ansonsten aber ist es vor allem heiss. Und rau. Und öde. Die oft spektakulären Aufnahmen, die Curran der Wüste abringt, helfen indes beträchtlich gegen die gelegentliche Erschöpfung und Erlahmung des Interesses. Und sie sind es, die bisweilen die Perspektive wieder schärfen. Das wiederum ist insofern hilfreich, als Mensch und Natur hier fast öfter in Einklang denn in Widerstreit stehen: Die Tiere sind brav, das Wetter scheint erträglich, das Terrain nicht unnötig widrig.

Wasikowska brilliert

Solcherlei drückt natürlich kaum auf die Stimmung, aber abermals auf die Spannung. Quasi das Gegenteil spielt sich derweil im stimmungsgetrübten und angespannten Gesicht der Australierin Mia Wasikowska ab. In ihm spiegelt sich genau die richtige Mischung aus Entschlossenheit und Zerbrechlichkeit: Wenn Robyn da festen Schrittes durch die Wüste stapft, blickt sie drein, als würde sie jeden Moment losheulen. Nicht ob der Strapazen freilich; nein, da ist vielmehr eine tiefe Melancholie, die sich in ihre Züge gefressen hat. Eine latente Traurigkeit, die wohl mit ein Auslöser für dieses irre Unterfangen war, das Robyn zwischendurch eine «idiotische Farce» nennt. Und die sicher auch ein Grund dafür ist, dass sie es mit den Menschen nicht so kann. Still ist sie. Etwas steif. Ziemlich stur. Und geschlagen auch mit jener Arroganz, die Freigeistern eigen ist. All das fängt Wasikowska formvollendet ein, ohne Robyn indes abschliessend zu definieren. Ohne ihr Wesen in ein Korsett zu zwängen. Das würde ja auch wirklich nicht zu dieser so ungewöhnlichen Entdeckerin passen.