Wenn sie doch nur darüber reden würden

Zäh zwar, aber kompromisslos: Angelina Jolie zeigt sich auch bei ihrer dritten Regiearbeit ambitioniert und schickt sich und Gatte Brad Pitt im Ehedrama «By the Sea» auf eine zweistündige Tour de Force.

 

von Sandro Danilo Spadini

Da kurven sie nun in ihrem Citroën-Cabrio die südfranzösische Küste entlang. Strohhut auf dem Kopf, Zigarette im Mund, helles Sommergewand am Leib. Ein Jane-Birkin-Chanson umschmeichelt die Ohren, das blaue Meer entzückt die Augen, die Sonne liebkost die Gesichter. Ja, schön ists hier, wunderschön. Und doch fällt ihr (Angelina Jolie) spontan bloss ein: «Hier riecht es nach Fisch.» Er (Brad Pitt) bestellt sich derweil einen Gin und meint zum Barbetreiber (Niels Arestrup) in passablem Französisch: «Wir wollen einfach ausspannen.» Was indes nur die halbe Wahrheit ist. Denn Roland und Vanessa , das Glamourpaar aus New York, er Schriftsteller, sie Ex-Tänzerin, sind in dieser aparten Abgeschiedenheit gestrandet, um Klarheit zu gewinnen. Abstand vielleicht. Frieden vermutlich. Denn es lastet ein Leid auf dieser 14 Jahre alten Ehe. Welcher Art, das enthüllt Angelina Jolie Pitt, wie sie sich nun nennt, freilich erst zum Schluss ihrer zweiten Drehbuch- und dritten Regiearbeit, am Ende einer zweistündigen Tour de Force, als Auflösung eines famos illustrierten und formidabel inszenierten Ennui. «Sie braucht Zeit», sagt er unterdessen und könnte auch die Story meinen. Er müht sich, sie weint, er trinkt, sie starrt aufs Meer, er starrt auf sie. Sie geht «diesen blöden Hügel» runter, kauft ein, langweilt sich, hat einen üblen Tag, während er in der Bar heimisch wird, wieder trinkt, philosophiert, mehr trinkt, nach Inspiration sucht und sie nicht findet. Und so vergehen die Tage und verstreichen die Filmminuten – ohne dass etwas geschieht, was die Starpower und die Strahlkraft dieses Kinosuperstar- und Megacelebrity-Paars kapitalisieren würde. Ein starkes Stück ist das. Und eine noble Sache.

Weder Nabelschau noch Seelenstriptease

Klar, es böten sich für «By the Sea», dieses in Malta fabrizierte Kassengift, dieses mutige Liebhaberprojekt, auch boshafte Adjektive, die man Jolie um die Ohren hauen könnte, so man denn eine Gelegenheit dazu abgewartet hat. Prätentiös etwa. Eitel. Zäh. Aber zuvörderst ist das künstlerisch kompromisslos. Und mindestens so ambitioniert wie die beiden Vorgänger, mit denen sich Jolie als seriöse Regisseurin neu zu erfinden gesucht hat. Nach dem Balkankriegsdrama «In the Land of Blood and Honey» und dem Heldenporträt «Unbroken» schlägt sie nun erneut eine radikal neue Richtung ein und orientiert sich an den französischen Liebesdramen der Sechziger. Das garantiert wohl eine gewisse Freizügigkeit; etwa wenn Roland und Vanessa ihrer Identitätskrise zu entfliehen trachten, indem sie durch ein Loch in der Wand zwei Frischverheiratete (Mélanie Laurent und Melvil Poupaud) und deren junges Glück beobachten. Doch eine Nabelschau, ein Seelenstriptease ist das kaum. Dafür ist das alles zu kontrolliert, zu spartanisch in Bild, Ton und Wort und derart distanziert, dass einem jeder voyeuristische Hunger bald vergeht und der Brangelina-Kult hinter einem nüchternen Interesse am Künstlerpaar Jolie/Pitt verblasst. Eine Bindung zu den Figuren aufzubauen, ist freilich schwer, schier unmöglich: Zu unsympathisch sind sie, zu wenig gibt Jolie preis – und wenn sie es dann tut, nachdem Roland uns längst aus der Seele gesprochen und gefragt hat: «Werden wir je darüber reden?», wird sie nicht nur Mitgefühl ernten.

Eine sagenhafte Schönheit

Zu berühren vermag «By the Sea» bisweilen gleichwohl: in plötzlichen Momenten intimster Vertrautheit, tiefster Zärtlichkeit. Viel mehr als das beeindruckt dieser aufmerksame Film jedoch: mit einem Rhythmus, der sich jenem des Meers anschmiegt, ein sanftes Wogen, das zu bedrohlichen Wellen schwellen mag. Mit der geschmeidigen Kamera von Christian Berger («Das weisse Band»), die sich so vorsichtig um die Figuren bewegt, als ob sie die explosive Stimmung ja nicht weiter anheizen wollte. Mit dem wohltemperierten Spiel von Brad Pitt. Und mit dieser sagenhaften Schönheit, gebannt in minutiös durchkomponierten Bildern voll schlichter Anmut. Dass dabei ein Erkenntnisgewinn letztlich ausbleibt, ist zwar mehr als ein kosmetisches Manko; und etwas Nonchalance hätte dem verkopften Film fraglos gutgetan. Doch so gerne manche Jolie Pitt scheitern sähen: Wenn nicht Bewunderung, so ist ihr immerhin Respekt zu zollen für dieses widerspenstige Stück Kunstkino.