Vor ihm hat sogar der Schwarze Mann Angst

Als trauriger Racheengel landet Keanu Reeves in dem stylishen Rachethriller «John Wick» ballernd und prügelnd massenweise Treffer – und nach langer Zeit wieder mal einen Hit.

 

von Sandro Danilo Spadini

Der Anfang ist Tod und Schmerz. Eine Vorblende zeigt John Wick (Keanu Reeves) schwer verwundet und scheinbar in den letzten Zügen; eine Rückblende erzählt sodann, wie unlängst seine geliebte Frau (Bridget Moynahan) gestorben ist. Und alles, was danach folgt, ist auch kaum freundlicher. Es bleibt dunkel. Oder es regnet. Und gerne regnet es auch im Dunkeln. Die pechschwarze Nacht und der eisblaue Tag: Sie spiegeln beide das Innenleben von John Wick. Apathisch lebt der Jungwitwer nun im kalt wirkenden Designerhaus in New Jersey. Geblieben sind ihm sein 69er-Mustang, den er über alles liebt, und das Hündchen Daisy, das ihm die Frau postum hat senden lassen. Dann aber gerät er in ein verbales Scharmützel mit einem Russenmafia-Jüngling (Alfie Allen), eine harmlose Sache im Grunde. Doch weil es der hormonell überstimulierte und intellektuell unterbelichtete Sprössling des mächtigen Viggo Tarasov (Michael Nyqvist) war, dem er da dezent auf die Zehen getreten ist, wird es nun irrational: Drei russische Schergen brechen bei ihm ein, verprügeln ihn, töten Daisy und klauen den Mustang. John Wick ist jetzt nicht mehr nur traurig. John Wick ist jetzt auch wütend. Und das ist bei einem wie ihm eine toxische Kombination. Denn John Wick ist «Baba Jaga» – der Schwarze Mann. Oder besser und schlimmer: Er ist derjenige, den man schickt, wenn man den Schwarzen Mann umlegen möchte, wie Viggo seinen Sohn belehrt.

Ein Spiel mit Referenzen

Er habe mal gesehen, wie John Wick in einer Bar drei Leute mit einem Bleistift gekillt habe, erzählt der Pate geradezu ehrfürchtig weiter von seinem ehemaligen Verbündeten. Und wiewohl das schon etwas her ist und John Wick zwischendurch ein braves Leben geführt hat, passiert im Folgenden nichts, was uns am Wahrheitsgehalt dieser Anekdote zweifeln liesse. So schickt Viggo, nachdem er mit einem Versöhnungsversuch gescheitert ist, eine kleine Armee gen Jersey; die 14 Mann erledigt John Wick freilich mit links. Nun macht er sich seinerseits auf nach New York. Er taucht dort ein in ein fantastisches Unterweltuniversum, wo es von dubiosen Käuzen nur so wimmelt – wo aber sogleich Platz geschaffen wird. Ab jetzt nämlich wird bis zum Schluss eigentlich nur noch gekloppt und geballert. So wie man das erwarten darf, wenn Keanu Reeves' einstiges «Matrix»-Stuntdouble auf dem Regiestuhl sitzt. Den früheren Kickboxer Chad Stahelski und seinen bloss als Produzent kreditierten Co-Regisseur David Leitch als plumpe Haudraufe abzutun, wäre gleichwohl vollkommen verkehrt. Denn wie sie diese Gewaltorgie in Szene setzen, ist oft atemraubend und bei aller Brutalität in Denken und Handeln eine Augenweide. Und vor allem ist es gleichzeitig hoch originell und ein ziemlich versiertes Jonglieren mit Kinoreferenzen: Sergio Leone, Jean-Pierre Melville und Akira Kurosawa nennt Stahelski als Bezugspunkte für die Handlung von «John Wick», John Woo und die «Vengeance»-Trilogie von Park Chan-wook sind die offenkundigen visuellen Vorbilder. Zu nennen wären zudem die Neon-Ästhetik von «Drive» und die urbanen Nachtlandschaften eines Michael Mann, dessen Faible für Blaustiche Stahelski und Leitch ebenfalls aufgenommen und in einen beinahe metallenen Look gesteigert haben.

Die grossen Gesten

So gar nicht mit Mann teilen die Regiedebütanten derweil den Willen, bei den Figuren in die Tiefe zu gehen – selbst die tragische Hintergrundgeschichte ihres Titelhelden ist ihnen wenig mehr als ein paar Szenenfetzen wert. Und subtil ist dieses bis zum Exzess stylishe B-Movie auch sonst nicht gerade. Vielmehr schätzen die beiden die ganz grossen Genregesten: dicke Knarren, kecke Sprüche, fette Schlitten, coole Killer, grobe Russen, fatale Damen, protzige Villen, goldene Taler, Superzeitlupe, Endloskugelhagel, Marilyn-Manson-Musik. Das geht so weit, dass man sich bisweilen in einer Comicadaption wähnt: in einer nihilistischen «Sin City» vielleicht, in der Logik nur eine Option ist und zur Not auch der Tod eines Wauwaus als Motivation für einen Amoklauf epischen Ausmasses taugt. Zum Comicvergleich passt denn auch, dass bereits ein Sequel angedacht ist. Dem zuletzt so erfolglosen Keanu Reeves ist es zu gönnen. Er macht als Racheengel in elegantem Schwarz jedenfalls eine imposante Figur.