von Sandro Danilo Spadini
Nach dem einträglichsten und vermutlich besten Bond aller Zeiten kommt nun der längste und teuerste. Aber das war es dann schon mit den Superlativen für «Spectre», den 148 Minuten langen und 300 Millionen
Franken teuren 24. Teil der ewigen Reihe. Dass dieser nicht an den Meilenstein «Skyfall» heranreichen würde, liess schon der vorab veröffentlichte Song zum Film befürchten: Das blasse «Writing’s
on the Wall» von Emporkömmling Sam Smith brachte das Herz nicht eben zum Pochen. Und auch die Besetzung des Bösewichts mit Christoph Waltz liess einen bei aller Liebe für den doppelten
Oscar-Österreicher nicht nur mit der Zunge schnalzen, hatte sie doch den Beigeschmack des allzu Offensichtlichen. Immerhin würde aber wieder Starregisseur Sam Mendes («American Beauty») auf der
Kommandobrücke thronen – ein zweites Mal, was nicht ganz so aufregend ist wie das erste Mal, was aber doch für massenhaft Qualität bürgen müsste. Und in der Tat steht «Spectre» in Sachen Eleganz
dem unverschämt gut ausschauenden Vorgänger in wenig nach. Das untermauern Mendes und Kameramann Hoyte Van Hoytema («Interstellar») bereits in der obligat bombastischen Pre-Title-Sequenz am Día
de los Muertos in Mexiko-Stadt. 007 (Daniel Craig) veranstaltet da abermals unautorisiert ein Feuerwerk, das selbst sein leiderprobter Vorgesetzter M (Ralph Fiennes) nicht mehr tolerieren kann.
Er sei da wohl einen Schritt zu weit gegangen, wird ihn die treuselige Miss Moneypenny (Naomie Harris) über den Konsens in den MI6-Gemäuern unterrichten: Man sage, er sei am Ende. Und nicht nur
er. Gleich das ganze Doppelnull-Programm soll abgeschafft werden, geht es nach dem Willen des Karriereschnösels Denbigh (Andrew Scott). Der nämlich möchte im Zuge einer Mammutfusion aller
Geheimdienste Bond und seinesgleichen durch Drohnen ersetzen und obendrein den totalen Überwachungsstaat errichten.
Grimmig und uncharmant
Dies nun hört sich natürlich ordentlich zeitgeistig an. Es hört sich indes auch exakt an wie die Handlung des letzten «Mission: Impossible»-Teils; und weil der fortan auf sich allein gestellte
Bond sodann ebenfalls noch nach Österreich und Marokko ausschwärmen wird, will dieses Déjà-vu so schnell auch nicht wieder verschwinden. Gleich vier Leute haben hier am Skript gebastelt, was mit
Fug als schlechtes Zeichen gewertet werden kann, was aber nicht zwingend ein solches sein muss (bei «Skyfall» waren es ebenso viele). Hier freilich ist es eines – und das nicht einmal so sehr,
weil die Handlung übermässig inkonsistent wäre. Sondern vielmehr insofern, als offenbar weder den Bond-Stammschreibern Neal Purvis und Robert Wade noch dem «Skyfall»-Veredler John Logan noch dem
gut beleumundeten Dramatiker Jez Butterworth etwas nennenswert Knackiges eingefallen wäre. Zwar referenzieren sie sämtliche drei Teile mit Daniel Craig und stellen so für die Kapitel des neuen
Bond-Zeitalters eine nie da gewesene Kontinuität her; doch ist dieses Bemühen um Einheit, um ein grösseres Ganzes dann doch zu halbherzig. Und allzu vieles wiederholt sich da ganz einfach. War es
zuvor etwa Bonds grosse Liebe, deren Tod ihren Schatten auf das Geschehen warf, so ist es diesmal seine Ersatzmutter M (Judi Dench). Sie zu rächen oder doch wenigstens ihr Werk zu vollenden, ist
sein Antrieb diesmal. Und wiewohl er dabei mehr als auch schon zum Scherzen aufgelegt ist, bleibt Craigs 007 doch ein grimmiger und selten uncharmanter Zeitgenosse. Wenn er im gewohnten
Ruckzuck-Verfahren erst Monica Bellucci und alsdann unter tatsächlich noch weniger Funkensprühen Léa Seydoux erobert, hat das denn auch rein gar nichts Verwegenes, sondern nur mehr etwas
Animalisches.
Rückfall in die Bond-Folklore
Damit freilich hat man sich längst abgefunden, und man hat es ja auch durchaus goutiert: die Entzauberung des Überhelden, diese neue Sachlichkeit. Und wenn Mendes und sein Team hier an der
Menschwerdung des James B. weiterwerkeln, dann hat das auch weiterhin seinen Sinn. Weil sie aber gleichzeitig noch weit mehr als in «Skyfall» wieder das Archiv bemühen und nicht nur mit der
Oberschurkenorganisation S.P.E.C.T.R.E. die Bond-Folklore der Sechziger bedienen, wirkt dieser soziopathische Kühlschrank-Bond mit seinen eisig-blauen Augen nun wieder recht deplatziert. Das
Besinnen auf die Vergangenheit mag einleuchten, zumal die Gegenwart eine romantikfreie Zone aus Drohnen und Überwachung ist. Aber es ist das auch ein Schritt zurück. Denn all die weltfremde Gaudi
verträgt sich halt kaum mit dem, was seit dem Neustart der Reihe vor zehn Jahren und ihrer Neuerfindung durch «Skyfall» propagiert wird. Und was auch hier zumindest in der ersten Stunde weiter
angeregt wird, wo es nicht nur oft dunkel, sondern nachgerade düster ist. Es ist dies vielleicht nicht eine fulminante Ouvertüre, aber doch eine, die Hoffnungen weckt auf all die Kunststückchen,
die da noch kommen mögen. Aber sie kommen nicht. Und überhaupt kommt jetzt ausser Klischees und Stereotypen nicht mehr viel; selbst Waltz‘ Schurke Franz Oberhauser kriegt praktisch nichts
Sinnvolles zu tun, geschweige denn Konturen. In seiner Vorhersehbarkeit und seiner Ereignislosigkeit geradezu langfädig ist diese emotions- und orientierungslose zweite Hälfte. Ästhetisch mag das
unverändert hochstehend sein, und die Actionszenen sind so fachmännisch gemacht, wie man sich das nur ausmalen kann. Der Zauber von «Skyfall» jedoch löst sich nach und nach in der kalten Luft
auf.