Grosser Kater? Grosser Reibach!

Der Film zur Finanzkrise, endlich ist er da. In der luxuriös besetzten Sachbuchverfilmung «The Big Short» zeigt ein Komödienspezialist mit Schalk und Scharfsinn, wie ein paar Wall-Street-Outsider alles kommen sahen.

 

von Sandro Danilo Spadini

Der Höhepunkt kommt heuer zum Schluss – der Film des Jahres startet an Silvester! «The Big Short» heisst er, und ausnahmslos alle sollten ihn sehen. Als Augenöffner. Als Erinnerung. Was Sachbuchautor Michael Lewis und Komödienregisseur Adam McKay hier vom Stapel lassen, ist nämlich die definitive Aufarbeitung der Finanzkrise – und die (be)trifft uns alle. Es wäre das ja ein Thema zum Wütend- und Wahnsinnigwerden, zumal die Horrorvorstellungen von der Hochfinanz aufs Heftigste bestätigt werden. Doch McKay macht was anderes; er setzt auf Galgenhumor und verleiht Lewis’ (teils umbenennten) Protagonisten Spleens und Ticks, die deren Status als kauzige Aussenseiter noch untermauern. Seine Rufer in der Geldwüste haben zwar enorm bekannte, aber gut verschleierte Gesichter. So übernimmt ein schwarzschopfiger Ryan Gosling als Deutsche-Bank-Desperado Jared Vennett die Rolle des kecken Zeremonienmeisters, der uns gleich einen zackigen Abriss der Finanzgeschichte gibt: von den grauen Anfängen bis zum besinnungslosen Casinoplausch der schneidigen Turbokapitalisten. Er stellt uns sodann Dr. Michael Burry (Christian Bale) vor – einen Fondsmanager aus Kalifornien, dem «die soziale Interaktion schwerfällt». Es ist März 2005, und Dr. Burry ist einer jener, die die Katastrophe kommen sehen, derweil alle anderen noch Party machen. Und warum?, fragt Goslings Vennett. «Weil sie hingeschaut haben.»

«Alle irren sich»

Das tun wir nun auch. Denn als Nächstes treffen wir einen Steve Carell in der Form seines Lebens. Er spielt den New Yorker Hedgefonds-Manager Mark Baum. Als Kind habe er im Talmudstudium nach Inkonsistenzen im Wort Gottes gesucht. Er ist also der misstrauische Typ. Seit sein Bruder sich umgebracht hat, sei er voller Wut, sagt seine Frau (Marisa Tomei). Am meisten hasst er die Wall Street. Und so bohrt er natürlich nach, als er per Zufall auf etwas stösst, was einen finanzsystemischen Irrtum biblischen Ausmasses impliziert. Es sind dies die Wetten des Dr. Burry – die 1,3 Milliarden Dollar schweren Wetten gegen den Immobilienmarkt, wo auch Vennett mitmacht. «Der Immobilienmarkt ist grundsolide.» Sagen doch alle. Sagt auch Alan Greenspan. «Alle irren sich», sagt hingegen Dr. Burry. Die Goldman-Sachs-Schnösel lächeln nur und sehen «keinen möglichen Verlust». Sehr wohl sieht den indes Ben Rickert (Brad Pitt mit 20 Pfund extra). Er war Trader in Singapur, hat sich aber angewidert davon abgewendet; nun ist er Frühpensionär und Vollzeitparanoiker – und Guru zweier Junginvestoren (John Magaro, Finn Wittrock), die ebenfalls über die Wetten stolpern.

Atemlos, schwindelerregend

Verzwickt und verzwirbelt gehts hier zu. Und deshalb drückt Conférencier Vennett jeweils den Pausenknopf, wenns ein bisschen viel wird – was es so häufig wird wie in Lewis’ gleich grandios verfilmtem Baseballbuch «Moneyball». Subprime? Hypothekarisch gesicherte Wertpapiere? Credit Default Swaps? Das «Short» jedenfalls, das im Titel dieses atemlosen, aufgekratzten, schwindelerregenden Films steht, bedeutet «leerverkaufen», und was das bedeutet, erklärt uns Margot Robbie in einem Schaumbad. Starkoch Anthony Bourdain liegt es dann ob, uns am Herd von Collateralized Debt Obligations zu erzählen. Und Selena Gomez legt am Blackjack-Tisch noch dar, was es mit diesen synthetischen CDOs auf sich hat. Bizarre Intermezzos sind das – aber erhellende. Und so schafft es der Regisseur von «Anchorman» letztlich tatsächlich besser als ein Top-Film wie «Margin Call» oder die moralisch und intellektuell herausragende Dok «Inside Job», die Finanzkrise zu erklären: das Kartenhaus an der Wall Street. Die Luftschlösser der Finanzingenieure. Die Lügengebilde von Banken, Politik und Ratingagenturen. Er macht das mit Schalk und Scharfsinn. Lässt uns die Insider herzhaft hassen, mit den Outsidern zittern. Und wenn die Freude über deren «Sieg» überbordet, erinnert uns Produzent Brad Pitt, was das, der Kollaps des Häusermarkts, für die einfachen Leute bedeutet. Man muss sich das also anschauen, und dann müsste man darüber trotz des saloppen Tons wütend und wahnsinnig werden. Über die Gier. Den Betrug. Die Dummheit. Denn jetzt versteht man es ja. Hollywood hat es erklärt. Es hat das gemacht, wofür wir es am meisten lieben: Es hat nach der Wahrheit gesucht. Und diese Wahrheit, sie macht Angst.