Herzensbrecherin? Zwerchfellreisserin!

Mit «Trainwreck» unterstreicht Regisseur Judd Apatow seinen Anspruch auf Hollywoods Komödienthron. Und er macht das breite Kinopublikum mit der grandiosen Amy Schumer bekannt.

 

von Sandro Danilo Spadini

«Monogamie ist unrealistisch», lässt der Vater (Colin Quinn) zum Start seine beiden kleinen Töchter skandieren. Und 23 Jahre später hat zumindest eine der beiden das vollständig verinnerlicht. Amy (Amy Schumer) meint aus dem Off aber, nachdem wir sie gerade beim besoffenen Beischlaf haben beobachten dürfen, man solle nicht zu hart über sie urteilen: «Ich bin halt sehr sexuell.» Und zudem: Ihr Job sei gut, ihre Wohnung sei gut, ihre Familie sei gut, alles sei gut. Stimmt, sie arbeitet bei einem hippen Magazin, wohnt in Manhattan, hat eine flotte Schwester (Brie Larson). Aber wenn man jetzt doch ein bisschen kritisch sein wollte, müsste man anfügen: Sie bechert zünftig, patzert häufig, sie ist beziehungsgestört, bindungsscheu, und sie hat wirklich ein enorm aktives Sexleben. Mit anderen Worten: Amy ist das, was die Amerikaner ein «trainwreck» nennen. Gerade das tun hier im Filmtitel Regisseur Judd Apatow, der sich nach dreijähriger Pause zurückmeldet, und Amy Schumer selbst, die sich nach dem Riesenerfolg ihrer Comedyserie «Inside Amy Schumer» nun nicht nur als Darstellerin, sondern auch als Drehbuchautorin dem breiten Kinopublikum vorstellt.

Eine Explosion namens Amy

Wie ein Irrwisch ist die 34-jährige New Yorkerin vor rund zwei Jahren in die Fernsehwelt geplatzt. Unverschämt sei sie, unverbraucht, unverblümt, vulgär bisweilen – und vor allem: authentisch. Gefeiert wird sie dafür, gehuldigt wird ihr mit zahllosen Titelgeschichten, das «Time»-Magazin hat sie heuer sogar zu den 100 einflussreichsten Menschen erkoren. Und jetzt endlich weiss man auch ausserhalb der USA, warum so viel Aufhebens gemacht wird, und kann nur sagen: zu Recht! Denn wenn Apatow hier unter Feuer steht und so seinen Anspruch auf Hollywoods Comedy-Thron reklamiert, dann ist Schumer eine Explosion. Ihre Schreibe bietet zündende Gags in fulminanter Dichte. Und ihr Spiel ist… Wie soll mans sagen? Es ist all das: unverschämt, unverbraucht, unverblümt, vulgär, authentisch. Und ach ja: Es ist für eine Filmnovizin brutal versiert, ein Wunder, Weltklasse, Wahnsinn! «Du bist nicht nett», sagt ihr muskelverbeulter Quasifreund (John Cena) zwar, als er zum Ex wird; und sie sei bloss eine Art hübsch, aber nicht umwerfend, findet ihre Chefin (herrlich fies: Tilda Swinton). Aber eine Wucht ist sie trotzdem, diese Herzensbrecherin, diese Zwerchfellreisserin. Das sieht der Star-Sportarzt Aaron (Bill Hader) genauso. Über ihn soll Amy schreiben – obwohl sie meint, dass Leute, die Sport mögen, «irgendwie minderwertig» seien. Und es beeindruckt sie null, dass er auch noch bei Ärzte ohne Grenzen (ihr unbekannt) wirkt – und unter null, dass er Basketball-Superstar LeBron James (ihr gleichfalls unbekannt) zum Kumpel hat. Derweil es uns übrigens recht beeindruckt, dass James hier nicht nur einen Gastauftritt, sondern eine richtige Rolle hat, die er mit köstlicher Selbstironie ausfüllt.

Und dann wirds ernst

Trotz dieser und weiterer Überraschungen: Eine Wundertüte ist «Trainwreck» nicht gerade. Vielmehr folgt der Film sklavisch jenem Ablauf, der ungefähr seit der Erfindung Hollywoods für romantische Komödien gilt. Und so verliebt sich Amy sehr wohl noch in Aaron. Und macht die Beziehung kaputt. Und erkämpft sie sich zurück. Was dabei einzig erstaunt: wie lange die obligate Trübsal-Phase dauert. Es ist dies wohl wiederum ein Zeichen für den Reifeprozess des einstigen Krawallkomödienbruders Apatow («The 40 Year Old Virgin»). In «Funny People», diesem doppelt komischen Schlüsselwerk, befasste er sich mit Krankheit und Tod, in «This Is 40», leise enttäuschend, dann mit dem Älter- und Erwachsenwerden. Um all das und mehr Ernstes (die Liebe!) geht es auch hier; und unter dem dichten Geflecht von Gags und dem lauten Donnerwetter von Dreistigkeiten findet sich diesmal sogar etwas, was wir in der Euphorie Weisheit nennen wollen – und dazu Herz, ganz viel Herz. Das ist es wohl auch, was Apatow von den meisten Genrekollegen abhebt: Er mag seine Helden wirklich, und er will, dass wir sie auch mögen. Womöglich ist es auch die weibliche Perspektive, die ihn hier so gut macht wie nie. Die Kombination Schumer/Apatow jedenfalls hat sogar noch mehr Potenzial als das Comedy-Traumduo Paul Feig/Melissa McCarthy. Es soll also bitte wiederkommen.