Was die fidele Witwe so im Schilde führt

Zwei Feingeister vereint: Kritikerschatz Whit Stillman verfilmt in «Love & Friendship» Jane Austen und fackelt ein Feuerwerk der Worte ab. Dass er dabei auch ein Mauerblümchen zum Blühen bringt, bezirzt besonders.

 

von Sandro Danilo Spadini

Jüngere Kinofreunde dürften ihn erst gar nicht kennen; und bei den älteren müsste der Mann mittlerweile vergessen sein, so rar wie er sich gemacht hat. Doch Irrtum: Whit Stillman, bald 65-jähriger Regisseur und Autor von nunmehr ganzen fünf Filmen, scheint so populär wie in den Neunzigern, als er sich den Ruf einhandelte, die protestantische Antwort auf Woody Allen zu sein. Mit der Trilogie «Metropolitan»/«Barcelona»/«The Last Days of Disco» hatte er sich zuvörderst bei den Kritikern eingeschmeichelt, derweil das breite (und nicht amerikanische) Publikum sich nicht gar so heftig erhitzen mochte für diese eloquent-redseligen Analysen urbaner Wohlstandssorgen. Sodann indes machte Stillman den Malick, zog nach Paris und liess 13 Jahre lang nichts von sich hören. Und wie beim naturliebenden Filmmystiker wuchs sich auch der Ruf des Politikersprosses auf Washington allmählich zur Legende aus (oder wie mancher schnödet: zur Mythenbildung). Jedenfalls war sein Status, als er vor fünf Jahren wiederkehrte, derart hoch oder eben überhöht, dass das Comeback nur enttäuschen konnte – was «Damsels in Distress» dann auch tatsächlich tat. Das freilich hatte auch sein Gutes: Stillmans zukünftige Projekte würden nicht mit solch riesigen Erwartungen verknüpft sein.

Schlange und Genie

Wobei das jetzt auch nur fast stimmt. Denn Stillman musste sich als Nächstes natürlich ausgerechnet einen Stoff von Jane Austen aussuchen. Eine erst postum publizierte Novelle in Epistelform zwar nur – aber Austen nichtsdestotrotz! Es ist das ein Arrangement, wie es sich deren Kupplerin Emma nicht trefflicher hätte ausmalen können: eine Vermählung zweier Feingeister und Wortschmiede in der feinen Gesellschaft. Da würde doch wohl nichts schiefgehen können, dachte man oder flehte man inständig und ängstigte sich insgeheim davor, es sei das eventuell zu goldrichtig, um wirklich wahr, und zu naheliegend, um etwas wert zu sein. Umsonst! Stillmans «Love & Friendship», beruhend auf Austens «Lady Susan», ist genau das und all das, was man sich erhofft, wenn Whit Stillman Jane Austen verfilmt. Und dass er nicht nur den Titel und die Erzählform abgeändert, sondern auch sonst einiges dazugedichtet hat – es soll nicht zum Schaden des Stoffes sein. Dessen unüberseh- und unüberhörbares Epizentrum ist – ungeachtet der Eliminierung aus dem Titel – Lady Susan Vernon (Kate Beckinsale): eine Witwe in den besten Jahre, die nach dem Geschmack der High Society des späten 18. Jahrhunderts etwas gar fidel von Hof zu Hof und daselbst womöglich (vermutlich!) von Bett zu Bett hüpft. Ihre zahllosen Feindinnen, wie die Frau ihres Schwagers (Emma Greenwell), zeihen sie «ein diabolisches Genie» und schimpfen sie eine «Schlange im Garten Eden»: eine Manipulatorin reinsten Wassers, die noch jeden aufs Kreuz zu legen vermochte. Jene, die ihr wohlgesinnt sind, wie der fesche junge Schwager des Schwagers (Xavier Samuel), heissen sie derweil «ein Ornament unserer Gesellschaft» oder huldigen ihr als «eine brillante Kreatur», wie das ihre amerikanische Freundin tut (Beckinsales «Last Days of Disco»-Gefährtin Chloë Sevigny). Die Leute seien eifersüchtig, sagen sie dann – ob sie nun blind (vor Liebe) sind oder sehr wohl sehen, was Lady Susan da treibt, um sich wie auch ihrer Tochter (Morfydd Clark) einen solventen Gatten zu angeln.

Schlank und trocken

Wie in jedem Stillman-Film hat auch hier – trotz raffinierter optischer Reize und exquisiter klassischer Klänge – das gesprochene Wort die Hauptrolle inne. Oder wenigstens eine Hauptrolle. Die andere nämlich spielt Kate Beckinsale. Zugegeben, die 43-jährige Londonerin ist jetzt nicht die keckste Leading Lady Hollywoods. Hier aber wächst sie, die vor 20 Jahren mal eine TV-Emma war, über sich hinaus und wirft einen mächtigen Schatten auf den Rest des weiss Gott nicht lauen Ensembles. So bezirzend ist das brünette Mauerblümchen, dass man ihre munter sprudelnde Lady Susan sehnlichst vermisst, wenn sie in einer Szene mal nicht zugegen ist, und sich fragt, was sie wohl gerade im Schilde führen mag. Tugendhaft wirds nicht sein, dafür ist Austens Stoff zu frivol, zumal für seine Zeit. Stillman hat das schlank und trocken, wie es seine Art ist, kongenial in Bild gegossen. Und wenn dieser notorische Postmodernist Lady Susan sagen lässt: «Fakten sind schreckliche Dinge», ist das sogar nachgerade zeitgeistig. Jane Austen hätte das sicher auch gefallen.