Endlich wieder Slowdance in der Turnhalle

Wer sich 105 Minuten lang bedingungslos gut fühlen will, ist bei «Sing Street» goldrichtig. Und wer in den Achtzigern jung war, wird schwelgen und diese irische Musikkomödie lieben ohne Ende.

 

von Sandro Danilo Spadini

Genau so liefen erste Schultage ab im Hollywood der Achtziger: ein blaues Auge vom Pausenplatzrabauken, ein Anschiss vom Rektor, Trost von einem Aussenseiter, Tipps vom grossen Bruder und, aah, das Mädchen. O dieses Mädchen! Um das ging es doch letztlich immer nur: die Traumfrau, viel zu cool und viel zu hübsch, in einer anderen Liga spielend, in einer anderen Sphäre schwebend, so nah und doch so fern, absolut unerreichbar und wider besseres Wissen und entgegen jeder Logik das Zielobjekt. «It’s all about the girl», heisst es denn auch hier einmal, in der 1985 in Dublin spielenden Musikkomödie «Sing Street», die alles ganz genau so macht wie damals die so populären Highschool-Filme. Das Mädchen, es heisst Raphina (Lucy Boynton), und sie sei ein Mysterium: Sie gehe nicht zur Schule, spreche mit niemandem, ihr Freund sei Dealer, meint der nerdige Rotschopf Darren (Ben Carolan); sie gehe in der Tat nicht zur Schule, arbeite als Model, wolle nach London, erklärt sie selbst; und das treffe sich aber gut, denn er habe eine Band und suche noch eine Darstellerin für einen Videoclip, entgegnet schliesslich der 15-jährige Conor (Ferdia Walsh-Peelo), den seine klammen Eltern von der Privatschule hierhin an die staatliche Christian-Brothers-Schule an der Synge Street verpflanzt haben, wo im Klassenzimmer geraucht wird und der Priester schon mal das aktuelle Unterrichtsfach verwechselt. Conor ist der mit blauen Auge vom Bully (Ian Kenny) und dem Anschiss vom Rektor (Don Wycherley); er ist unser Anker in den nächsten 105 Minuten; und das mit der Band ist natürlich komplett erstunken und erlogen.

Nostalgisch werden mit Futuristen

Und wieder die Achtziger also: Nachdem Richard Linklater in «Everybody Wants Some!!» den übersexualisierten unterbelichteten Sport-Assen – den «Jocks» – ein Denkmal gesetzt hat, sind nun aber wieder die «Nerds» dran. Der Ort ist kein US-College, sondern eine irische Unterschichtsschule, der Sound nicht Spät-Disco, sondern Duran Duran und Spandau Ballet – aber der Regisseur und Drehbuchautor ist mit John Carney eine fast so astreine Nummer, der Film geradeso waschecht 80s und gar noch sympathischer, spassigerer, unbeschwerter. Wobei: Ganz so easy wäre es ja eigentlich nicht. Es sind harte Zeiten auf der Grünen Insel, die Jungen setzen in Massen nach London über auf der Suche nach Arbeit, und dass an einer katholischen Schule im Irland der Achtziger manches im Argen gelegen haben dürfte, das kann man sich ausmalen. Carney, der 1972 geboren wurde und selbst die Synge-Street-Schule besuchte, blendet das alles zwar nicht völlig aus und schlägt auch mal Töne in Moll an. Sein oberstes Ziel ist es aber, dass wir hier mit Videoclips im «Thriller»- oder «Back to the Future»-Stil und mit «Top of the Pops» am Donnerstag um sieben eine gute Zeit haben; dass wir mit Conors «futuristisch orientierter» Band nostalgisch werden; und dass wir die von ihm mitverfassten Songs geniessen, so wie wir es in den ebenso musikalischen Vorgängern «Once» und «Begin Again» getan haben.

Träumerisch, traumhaft

Anders als dort dominiert hier freilich der Humor. Ein exquisiter Humor: wortgewandt sowieso, bisweilen aber auch recht clever und voll popkultureller Referenzen, vor allem wenn der Bruder was zu sagen hat (was meistens der Fall ist). Er ist trotz Stoner-Attitüde die moralische Instanz, das musikalische Gewissen, das (semi)philosophische Zentrum; und gemessen an der Plattensammlung, deren Grösse damals den Coolnessfaktor definierte, ist er der Held hier. Oder dann ist da Eamon (Mark McKenna), der Hasen liebende Mastermind der Band, dem so viele Gags zufallen, dass er zum heimlichen Star avanciert des zeitgemäss «speziell» gestylten Personals von «Sing Street». Dieses könnte zwar so wie der Plot geradewegs dem «Brat Pack»-Handbuch des grossen John Hughes («Ferris Bueller’s Day Off») entnommen sein, zankende Eltern und Spielverderber-Schwester inklusive. Doch die Stereotypen leben. Und sie haben Träume. Wie die Strassenmusiker in «Once» und die Talente in «Begin Again». Ob sich all ihre Träume erfüllen lassen, muss sich weisen. Aber sie werden es probieren, kleine und grosse Triumphe feiern, milde und herbe Schlappen erdulden. Und sollte es einmal zu viel werden, gibts immer noch den Slowdance in der Turnhalle. So schön!