von Sandro Danilo Spadini
Sieben Tage seien es noch bis zur Apokalypse, sagt man uns am Anfang von Stefano Sollimas «Suburra». Und wenn die Welt schon untergeht, kann man ja auch mal ein bisschen dicker auftragen: Feuersbrünste und Sturzbäche,
Technodonner und Lichtgewitter, Sexorgien und Gewaltexzesse – all das lässt Sollima noch in den ersten zehn Minuten seines zweiten Langfilms vom Stapel. Wir schreiben darin den 5. November 2011;
in sieben Tagen wird also der 12.11.11 sein: der Tag, an dem Silvio Berlusconi hoffentlich endgültig abdankte. Doch um den «Cavaliere» soll es hier gar nicht gehen; er wird nie erwähnt, ist bloss
Referenz. Es sind andere (Raub)ritter, die das Rom von Sollima plündern. Der halbseidene Hänfling Sebastiano (Elio Germano) etwa, der dank seiner High-Society-Gelage nicht halb, sondern «ganz Rom
kennt». Oder das windige Wiesel Alberto alias «Spadino» (Giacomo Ferrara), Spross eines reich und mächtig gewordenen Kredithais, den trotzdem alle weiter nur «zingaro di merda», Scheisszigeuner,
schimpfen. Dann sind da der totaltätowierte Aureliano alias «Nummero 8» (Alessandro Borghi) von der brutalen neuen Mafiageneration und eine «Samurai» genannte wandelndes Alain-Delon-Zitat
(Claudio Amendola): mit allen Mafia-Wassern gewaschen, verbandelt bis hinauf in den Vatikan. Und schliesslich haben wir den Abgeordneten Filippo Malgradi (exzellent: Pierfrancesco Favino) als
fauliges Zentrum des ganzen verschachtelten Gebildes. Er soll schauen, dass ein Bauprojekt zum Wohle aller Obgenannten durchs Parlament kommt, auf dass das Quartier Ostia zum Las Vegas Italiens
aufblühe.
Niente Dolce Vita
Sodom und Gomorra scheint und schimmert, blinkt und blitzt, flammt und flackert auf in diesem über zweistündigen Abgesang voller Fanfaren, Pauken und Trompeten, wobei Gomorra gleich doppelt
passt. Für die so getaufte sensationelle Mafiaserie nämlich zeichnet Sollima hauptverantwortlich, und das sieht man hier thematisch ebenso wie stilistisch kristallklar, betreibt er seine
Entromantisierung des organisierten Verbrechens doch auch im Kino auf schwindelerregend hoch gestapelten multiplen Plotebenen und mit jähen Tempo- und Stimmungswechseln. Namengebend für sein
episches Sittenbild war freilich ein anderer Sündenpfuhl: das Armenviertel Suburra, wo sich im antiken Rom die feinen Herren mit den leichten Damen und den bösen Buben zum Geschacher trafen.
Längst aber hat sich Suburra – so die von Sollima adaptierte (Schreckens)vision des Romans von Giancarlo De Cataldo und Carlo Bonini, die in eine Netflix-Serie münden soll – auf ganz Rom
ausgebreitet, es sich einverleibt, verschluckt. So schlimm ist es, dass selbst der Papst nicht mehr will. Alles Schöne, alles Leichte, alles Verspielte, die Cucina, die Canzoni, der Calcio, die
ganze Dolce Vita ist hier absent. Was bleibt, ist hohler Prunk in einem Sumpf aus Tricks und Deals, Sex und Koks, Blut und Schmach; und in diesem Dreck, da bestimmen die Ratten und der Abschaum,
das Hässlichste und Niederträchtigste, wozu die Ewige Stadt und das Belpaese fähig sind.
Ein Land am Ende
Sollima findet dafür harsche Bilder. Ein Parlamentarier, der nach einem Dreier mit seiner Stammhure und einer bald toten minderjährigen Osteuropäerin im Crackrausch vom Balkon auf die Piazza del
Popolo pisst? Das ist selbst für das verdrossene Italien krass, nach all den Jahren der Bunga Bunga aber wohl auch kein Wunder; und wie der eigenhändig mordende US-Präsident in «House of Cards»
zeigt es vielleicht, wie viel wir Politikern inzwischen zutrauen. Doch Sollima kann auch anders: Gerade des Nachts entlockt er im Stile Paolo Sorrentinos seinem Rom spektakulär schöne Bilder; und
wenn er dazu die elegischen Töne der Dreampopper M83 aufdreht, ist da nur noch delirierende Resignation. Besonders wuchtig indes ist «Suburra» wie «Gomorra» in den lakonischen Momenten: bei einer
Schiesserei in einer Mall, die Sollima fast teilnahmslos schildert und deren Grauen er damit profan und plastisch macht; oder als der «Samurai» nüchtern ins Telefon raunt: «Wenn es neue Wahlen
geben sollte, finden wir einen neuen Politiker, vielleicht auf der anderen Seite.» Das ist dann an Trostlosigkeit nicht mehr zu überbieten; da muss die Apokalypse nah sein. Und als sie endlich
kommt, prasselt es wieder in Strömen auf die Halunken hernieder. Und Rom, die Ewige Stadt, sie scheint tatsächlich unterzugehen.