Der Tänzer am Steuer

Das englische Regie-Schlitzohr Edgar Wright serviert mit dem Actioner «Baby Driver» jenen Film, auf den Tarantino-Fans schon eine Weile warten: ein popkulturaffines Schelmenstück im Kultklassikerformat.

 

von Sandro Danilo Spadini

Ein Ballett mit Autos? Klingt wie eine Peugeot-Werbung aus den Neunzigern. Ist aber: «Baby Driver» – des Kinofreunds aktuelles Lieblingskind, dessen Vater das 43-jährige englische Schlitzohr Edgar Wright ist. Wright hat sich als Autor und Regisseur von musikalisch untermauerten Actionkomödien der kultigen Sorte auf der Insel einen famosen Ruf erdreht; hat sich mit Streifen wie «Shaun of the Dead» oder «Hot Fuzz» zu einem Favoriten der Filmkritik gemausert und darüber offenbar so viel Selbstvertrauen getankt, dass er nun den Mut aufgebracht hat, ein Spinnerprojekt in die Gänge zu bringen, das schon seit mehr als 20 Jahren in seinem Oberstübchen geschlummert habe: ein «Car-Chase-Jukebox-Filmmusical», wie er es nennt, oder dann eben ein eigentlich lupenreiner Genrefilm, in dem die Autos aber minutiös choreografiert im Takt der Musik hintereinander herjagen.

Nie ohne Stöpsel

Drinnen in diesen Karossen sitzen Bankräuber vom Schlage eines Jon Hamm («Mad Men») alias «Buddy» oder eines Jamie Foxx alias «Bats» – üble Gesellen, die der massbeanzugte Mastermind «Doc» (Kevin Spacey) losgeschickt hat und die sich bei ihren schussgewaltigen Schandtaten nicht zuletzt auf ein «Baby» verlassen: einen schmächtigen Jüngling ebendieses Namens (Ansel Elgort) mit Sonnenbrille im Gesicht und Kopfhörer im Ohr, der sie als Fluchtfahrer wie der Teufel höchstselbst in einem Höllentempo tänzelnd durch die verknoteten Strassen von Atlanta lotst, ein Schwenker hier, ein Rutscher da, bald Vollgas voraus, bald voll auf die Klötze, mal unauffällig im Fluss des Verkehrs, mal geisterhaft auf der Gegenfahrbahn – was die Situation halt so erfordert und, vor allem, was der Soundtrack in seinem Ohr gerade vorgibt. Das alles klappt immer ganz vorzüglich, weshalb Doc sein Baby sehr gern hat, auch wenn ihm dieses einst – versehentlich – gröber an den Karren gefahren war. Jetzt freilich wäre die alte Schuld beglichen und Baby ein freier und obendrein frischverliebter junger Mann, der sich einen flotten Notgroschen unter den Fussboden gelegt hat. Ein Leben voller Verheissungen mit der feschen Kellnerin Debora (Lily James aus «Downton Abbey») winkt am Horizont, alles ist möglich, alles ist fein, alles ist bereit – aber nein: Baby ist einfach zu gut in dem, was er tut, und so einen ziehen zu lassen, das kommt einem Vernunftsverbrecher wie Doc dann natürlich doch nicht in den scharfen Sinn. Seine Vergangenheit wird Baby, dieser schwer traumatisierte und von Grund auf liebenswürdige Kauz, also so wenig los wie den Tinnitus, an dem er seit dem tödlichen Unfall seiner Eltern leidet (und dessentwegen er nie ohne seine Stöpsel aus dem Haus geht, geschweige denn sich ans Steuer setzt). Wobei: Wenn einer es schafft, die Ausfahrt vom Highway der Hölle zu erwischen und Räuber wie Polizisten abzuschütteln, dann Baby.

Frisch, frech, frivol

Wo um Himmels willen soll man anfangen mit dem Loblied auf diesen Film, der nach einem der eher unauffälligeren Songs von Simon & Garfunkel benannt ist? Vielleicht, offenkundig, doch mit den Autoverfolgungsjagden. Ums kurz zu machen: Hat man noch nicht gesehen so was; da können auch Friedkin, Frankenheimer und Peckinpah zusammenpacken. Diese Schnapsidee mit der von der Musik angetriebenen Action: Sie ist total aufgegangen; ein geschmeidiges Geschepper mit Schauwerten im Oscar-Bereich ists geworden. Dann wäre da die Besetzung: Spacey als schnippischer Gangsterboss ist ein Selbstläufer und trotz Originalitätsdefizit ein Hochgenuss; Fox als Freak mit Waffentick geht ebenso glatt durch; Hamm als Banken ausnehmender Wall-Street-Pleitier hat eine kecke Note; und die beiden Jungen: einfach erfrischend, was Lily James als Diner-Angestellte mit dem goldenen Doppelherz einer «Twin Peaks»-Kellnerin und ganz besonders der Young-Adult-Film-Held Ansel Elgort («The Fault in Our Stars», «Divergent») da abliefern. Was noch? Die Musik? Peppig. Der Humor? Kernig. Der Schnitt? Knackig. Und die Story mit ihren zwei, drei U-Turns ist auch nicht ohne und reserviert den Figuren bei aller grundsätzlichen Comichaftigkeit gescheiterweise noch Raum für tatsächlich als echt empfundene Gefühle. Alles in allem ergibt das dann das volle Paket und jenen Film, auf den Tarantino-Fans schon eine Weile halb sehnsüchtig, halb nostalgisch warten: ein popkulturaffines Schelmenstück, das frisch, frech und geradezu frivol wirkt in seiner selbstsicheren Coolness. Ein Film mit Sofort-Kultstatus. Eine richtig tolle Kiste.