Und es ist eine wunderschöne Sache

In «David Lynch: The Art Life» darf der Regiemeister eineinhalb Stunden über sein Leben und Wirken vor dem Kino monologisieren. Raus kommt dabei manch Düsteres und einiges Erhellendes.

 

von Sandro Danilo Spadini

Am Anfang, bevor er die Cineasten mit «Eraserhead», «Blue Velvet» oder «Mulholland Drive» bezirzte und endlich um den Verstand zwirbelte, als junger Mann also, da war er Maler. Und seine Bilder, sie sahen so aus, wie später seine Filme aussehen sollten: bizarr und verstörend. «Ein sich bewegendes Bild, mit Ton», diese Idee nistete sich erst später in seinem Kopf ein. Das sagt David Lynch in der neuen Doku «David Lynch: The Art Life». Aber dann, als seine Bilder sich zu bewegen beginnen und wir Ausschnitte aus seinen Kurzfilmen «The Alphabet» und «The Grandmother» gesehen haben, ist auch schon gleich Schluss hier. Nein, um das Kino soll es eben gerade nicht gehen; auch nicht um die Transzendentale Meditation, deren Promotor Lynch seit geraumer Zeit ist. Und ebenso wenig bekommen wir zu hören, was denn andere so über ihn denken. Regisseur Jon Nguyen hat hier vielmehr einen geradezu minimalistischen Fokus, nachdem er vor zehn Jahren in «Lynch» demselben zugeschaut hat bei den Arbeiten zu seinem bis dato letzten Film «Inland Empire». Mit den Co-Regisseuren Rick Barnes und Olivia Neergaard-Holm lässt er Lynch mit seiner warmen Stimme und in seiner ulkigen Jimmy-Stewart-Sprache 90 Minuten im Off monologisieren: über Kindheit und Jugend in Missoula, Montana, in Spokane, Washington, in Boise, Idaho, in Alexandria, Virginia; über die verhasste Zeit in Boston an der Kunstschule; die Erweckung in Philadelphia; das Filminstitut in Los Angeles. Die prägenden, formenden Jahre also, die Mensch- und die Künstlerwerdung werden uns hier erzählt und mit alten Fotos und Heimvideos illustriert, während wir zusehen, wie Lynch daheim in den sonnigen Hollywood Hills rauchend, immerzu rauchend an seinen fremden und seltsamen Werken bastelt.

Im Ei aufgewachsen

In diesen frühen Jahren hat freilich schon mancher gewühlt in der Hoffnung, dabei etwas Grausliges zu entdecken, etwas Erschütterndes, etwas Weltveränderndes, etwas jedenfalls, was die bodenlosen, tiefschwarzen Abgründe in seinem Wirken erklären möge. Doch Lynch – vage bleibend wie immer, wenngleich beim Erzählen vom Privaten etwas auskunftsfreudiger als beim Erklären seiner verworrenen Filme – hat da die Küchentischpsychologen stets bitterlich enttäuscht. Er sei in einem Ei aufgewachsen, hat er dann stets gesagt: behütet und beschützt. Und auch hier legt er nahe, dass seine Kinoalbträume nicht in Jugendtraumata wurzeln. Stattdessen schwärmt er von seinen Eltern, die er nie, nie habe streiten hören – «ein super glückliches Heim» – und die seine Freiheit und seine Kreativität gefördert hätten. Man hat das als «Lynchhead», wie gesagt, schon andernorts gehört; doch dann gerät der 71-Jährige, den wir hier öfters mit seiner zuckersüssen kleinen Tochter Lula sehen, ins Erzählen – und je düsterer die Storys sind, desto erhellender wird es. Etwa die Sache mit der nackten, blutverschmierten Frau, die er als Knirps eines Nachts in seiner Strasse herumirren sah: Da die Verbindung zu Isabella Rossellini in «Blue Velvet» zu machen, ist nicht so schwer. Oder als Jungkünstler und Fotograf (Insekten! Industrie! Rauch! Elektrizität! Deformation!) im «unheimlichen, bösartigen» Philadelphia, das er trotz «kranker Angst in der Luft» als «so gut für mich, so wirklich, wirklich gut» empfand und wo er jene Verrückten traf, die ihn zu Figuren wie Frank Booth oder Mr. Eddy aus «Lost Highway» inspiriert haben müssen.

Dunkle, fantastische Träume

Die Taktik von Nguyen und Co. geht mithin auf: Man erfährt einiges Neues über diesen zwar gerne plaudernden, zugleich aber notorisch verschwiegenen Künstler; über die Entstehung seiner so präzisen wie kryptischen Werke; vielleicht – aber nur vielleicht! – sogar etwas über die Motivation dahinter. Und man ist auch einfach amüsiert, wenn Lynch schwadroniert, in jungen Jahren hätten ihn «dunkle, fantastische Träume» am meisten interessiert und er habe schon früh diese Idee vom Künstlerdasein gehabt: «Du trinkst Kaffee, du rauchst Zigaretten, und du malst. And that’s it.» Am Schluss aber, wenn er schwelgend über «Eraserhead» sinniert und traurig wirkt, würde man halt schon gerne dranbleiben. Denn jetzt würden doch die erst wirklich interessanten Sachen passieren im Kunstleben des David Lynch. Aber «David Lynch: The Art Life», mit der Kameraarbeit und dem Sound den Meister bisweilen imitierend, macht da mit uns nun das, was Lynch und Kompagnon Mark Frost derzeit im «Twin Peaks»-Sequel tun: Er spielt mit unseren Erwartungen und unterläuft sie. Und das ist, um es mit einem Lynch-Standard zu sagen, auch «eine wunderschöne Sache».