von Sandro Danilo Spadini
Sie sei schwanger, erklärt sie ihm als Erstes. Das wäre doch ein Grund zur Freude, möchten wir doch annehmen. Aber trotzdem sind wir jetzt gespannt. Denn sie, Mildred (Ruth Negga), ist schwarz
und er, Richard (Joel Edgerton), weiss, und das, natürlich, wäre an sich nicht der Rede wert; doch das Jahr ist 1958 und der Ort Caroline County, Virginia. Wenn da nun eine Schwarze einem Weissen
eröffnet, sie trage sein Kind in sich, kann viel passieren, vermutlich aber nichts Gutes. Und tatsächlich ist da erst Skepsis in Richards Gesicht zu lesen; aber das ist bloss Fopperei. «Gut»,
entgegnet er jedenfalls. «Das ist wirklich gut», sagt er und grinst. Und ja, alles ist gut hier, zu Beginn von Jeff Nichols' «Loving». Da fahren Mildred und Richard hinauf nach Washington D.C., um sich in schlichter Zeremonie das Jawort
zu geben – es gebe im Nachbarstaat weniger Bürokratie, meint Richard; deshalb machen sie das so. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, der Rock ‘n‘ Roll zwirbelt, Mildred und Richard Loving
strahlen.
Verhaftet und vertrieben
Ist die erste Viertelstunde des fünften Films des erst 38-jährigen Nichols mal um, kippt aber die ehedem von unbeschwerter Normalität beseelte Stimmung. Der Sheriff (Marton Csokas) suche ihn,
erfährt Richard von seiner Mutter (Sharon Blackwood). Alles in Ordnung, meint der. Und es wäre ja auch alles in Ordnung, in einer perfekten Welt. Aber das ländliche Virginia des Jahres 1957, das
ist keine perfekte Welt. Da treten dann weisse Polizisten mitten in der Nacht die Schlafzimmertüre der Lovings ein, führen das Paar ab, sperren es sein. In getrennten Zellen, selbstredend. Denn
Schwarz und Weiss, das hat sich nicht zu mischen. So will es Gott. Oder zumindest die Karikatur davon, an die sie da unten glauben. Und vor allem will es das Gesetz so. Lösen sie die Ehe nicht
auf, müssen sie den Staat verlassen – für 25 Jahre. «Das kann nicht stimmen», wendet Richard ein, dessen Gesicht kafkaeske Verwirrung verrät. Es stimmt aber, und vor Gericht müssen sie schuldig
plädieren, um nicht wieder verhaftet zu werden. Und sie müssen das unterwürfig tun, mit vor Scham gesenktem Haupt. Danach kommt der Umzug vom Land ins laute Washington, es kommen die Kinder, drei
an der Zahl, es kommt die Traurigkeit, die Sehnsucht nach Heimat und Familie. Und dann kommt der Anruf der Bürgerrechtsorganisation ACLU, und das Paar vom unteren Ende und der hinteren Ecke steht
mitten in einem Kampf von nationalem Interesse.
Ruth Negga: Ein Wunder
Die Lovings sind bescheidene Leute. Sie wollen nur das Elementare: zusammen sein, Kindern haben, daheim sein. Sie sind keine Revoluzzer. Das würde den Film zwar knackiger machen. Aber so ist es
nicht gewesen. Und historische Korrektheit ist Regisseur und Autor Nichols sehr wichtig. Auch er, ein Meister des Understatements, der die Natur liebt und an Orten wie Ohio, Louisiana, Arkansas
und eben Virginia die Americana pflegt, brüllt die schreiende Ungerechtigkeit nicht heraus. Er versteht sich vielmehr als Anwalt der Lovings: nicht als greller Starverteidiger, der Geschworene
bezirzt; sondern gleichsam als Verfassungsrechtler, der vor einem Richter argumentiert. Seinem Film ist denn auch jede Sentimentalität fremd. Er ist still, langsam, und mitunter – ja, man muss es
so sagen – ist er auch langatmig und steht still. Man wünscht sich dann, Nichols möge die noble Zurückhaltung mal abstreifen, drängender werden, sich des Intimen, Fragilen, Trübsinnig-Sedierten
entledigen; aber er ist eben auch Stellvertreter der Lovings und sein taktvoller Stil das Äquivalent zum würdevollen Spiel gerade der Oscar-nominierten Äthiopierin Ruth Negga, die ein Wunder ist.
Das ist also alles gewollt so. Und überhaupt ist «Loving» genau der Film, den Nichols machen wollte. Diese (Selbst)sicherheit gibt ihm eine nachgerade entspannte Aura: Der Film ruht und ruht in
sich, und diese Ruhe ist so unerschütterlich wie die Liebe der Lovings, die 1967 schliesslich vor Bundesgericht das Verbot von Mischehen zu Fall bringt. Um die historische Tragweite freilich ist
Nichols kaum bekümmert; wie stets geht es ihm einfach um die Familie. So wie die Lovings im Triumph die kirren Reporter kaltlassen, so wenig vermag uns denn auch die von ihnen angezettelte
Revolution mitzureissen – wiewohl sie das tun sollte. Bis es am Schluss nach all den Nahaufnahmen die befreiende Totale gibt. Auf offenem Feld. Mit Textepilog und Streichern. Und man meint, den
Hauch der Geschichte doch noch zu spüren.